Süchtig nach Arbeit
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Workaholics: Ein Problem für sich selbst – und das Arbeitsklima
«Suchthaftes Arbeiten» ist mehr als bloss sehr, sehr viel zu arbeiten. Es ist vergleichbar mit einer Spiel- oder Kaufsucht. Betroffene leiden unter den Folgen – sozial und gesundheitlich.
Autor:
Regula Ott
11.12.2023, 16:08
Fynn und Alissa* arbeiten seit Wochen quasi täglich 14 Stunden lang. Heute hat ihre Chefin ihnen einen freien Tag verordnet. Doch während Fynn einen Ausflug mit Freundinnen geniesst, wird Alissa Stunde um Stunde nervöser. Sie arbeitet deshalb von zu Hause aus weiter.
Abschalten, Freizeit geniessen – trotz offener Tasks? Für Alissa beinahe unmöglich.
Was tun bei Verdacht auf Arbeitssucht?
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Falls Sie sich oder eine Person in Ihrem Umfeld am Anfang einer solchen Störung befinden, können strikte Regeln helfen:
- Klare und gemässigte Arbeitszeiten
- Keine Arbeit nach Hause nehmen
- Keine geschäftlichen E-Mails auf privaten Geräten
- Klare Zeiten der beruflichen Unerreichbarkeit
Ist das suchthafte Arbeiten bereits ausgeprägter, können psychotherapeutische Fachpersonen weiterhelfen.
Kommt Ihnen die Beschreibung von Alissa bekannt vor? Laut Umfragen stehen die Chancen jedenfalls gut. In Deutschland sind fast zehn Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von «Workaholismus» betroffen. Hinter dieser catchy Bezeichnung steckt ein ernstes Problem: Arbeitssucht.
Exzessives und zwanghaftes Arbeiten
Alissas Arbeitsethos dürfte von Fachpersonen als suchthaft eingeschätzt werden. Das von Fynn eher nicht. Denn obwohl beide intensiv arbeiten, quält Alissa ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich freinimmt. So schafft sie es nicht mehr, zu entspannen.
Auf psychologischer Ebene ergibt das durchaus Sinn: Ähnlich wie bei anderen Süchten, kann es bei einem Arbeitsverzicht zu Entzugserscheinungen kommen.
«Workaholics», «Arbeitssucht» oder «suchthaftes Arbeiten»?
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Alle drei Begriffe stehen für ein ungesundes Arbeiten, auch wenn wir umgangssprachlich den Begriff «Workaholics» breiter verwenden. In der deutschen Studie von 2023 wird der Begriff «suchthaftes Arbeiten» verwendet.
Der Grund: Die ersten zwei Begriffe suggerieren eine Nähe zu Alkoholismus (Workaholics) beziehungsweise generell zu Sucht. Doch ist aktuell unklar, ob diese Form von Arbeit ein eigenständiges Krankheitsbild im Sinne einer Suchterkrankung darstellt oder nicht.
Das ist auch die Erklärung, warum keiner dieser Begriffe im ICD der Weltgesundheitsorganisation WHO vorkommt, der Klassifikation aller Krankheiten (ICD = International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems). Jedoch kann ein suchthaftes Arbeiten unter der gelisteten Krankheit «zwanghaftes Verhalten» eingeordnet werden, falls es die dazugehörenden Diagnosekriterien erfüllt. Zu dieser Kategorie gehört zum Beispiel auch die Kaufsucht, die ebenfalls keine eigenständig gelistete Krankheit darstellt.
«Weniger arbeiten kann in einigen Wochen zu massiven psychischen Belastungen führen», beschreibt es Serge Brand, Forschungspsychologe an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel.
Das eigene Selbstverständnis kommt abhanden. «Das kann zu Orientierungslosigkeit und Verwirrung führen und vor allem auch zu schweren Depressionen, massiven Ängsten und Selbstzweifeln.»
Auch während der Arbeit nicht glücklich
Doch auch wenn Workaholics am Arbeiten sind, geht es ihnen nicht gut. Ihre Stimmung ist im Durchschnitt schlechter als die von gelassenen Arbeitenden. Das ist die Erkenntnis einer neuen Studie, die vor kurzem im Fachjournal «Occupational Health Psychology» publiziert wurde (mehr dazu in der folgenden Textbox).
Hinzu kommt: Ihre Stimmung beeinflusst auch andere – arbeiten Betroffene doch oft in verantwortungsvollen Positionen.
Studie mit 139 Büroangestellten
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Bisher war umstritten, ob Workaholics sich während der Arbeit gut fühlen oder nicht. Dafür befragten die Forscherinnen und Forscher 139 Büroangestellte aus dem mittleren Kader während drei Tagen bis zu sechsmal pro Tag schriftlich zu ihrer Stimmung und Arbeitslast.
Das Ergebnis in den (aus dem Englischen übersetzten) Worten eines der Autoren, Cristian Balducci: «Es scheint nicht zu stimmen, dass Menschen, die arbeitssüchtig sind, mehr Freude an ihrer Arbeitstätigkeit haben. Im Gegenteil: Die Ergebnisse scheinen zu bestätigen, dass – wie bei anderen Formen der Verhaltens- und Drogensucht – die anfängliche Euphorie einem negativen Gefühlszustand weicht, der die Person auch während der Arbeit durchdringt.»
Diese schlechte Stimmung verändert sich bei den Workaholics über den Tag kaum. Weder durch weniger Arbeitslast, noch durch angenehme äussere Reize wie ein Kompliment oder eine spannende Sitzung.
Quelle: Uncovering the main and interacting impact of workaholism on momentary hedonic tone at work: An experience sampling approach.
Menschen, die suchthaft arbeiten, vernachlässigen ihre Gesundheit und ihre Beziehungen. Für Serge Brand ist dabei eine Frage sehr wichtig: «Sind die Beziehungen schlecht, weil jemand sehr viel arbeitet? Oder tut das jemand als Flucht vor seinem Umfeld?»
Studien zu jungen Heranwachsenden mit Spielsucht zeigen, dass sie oft in dysfunktionalen Familiengefügen leben. Also zum Beispiel mit alkoholkranken oder schwer depressiven Eltern oder mit einer anorektischen Schwester.
Gesundheitliche Folgen von suchthaftem Arbeiten
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- Die Selbsteinschätzung der Gesundheit ist bei Workaholics doppelt so häufig «weniger gut» oder «schlecht» als bei gelassenen Arbeitenden.
- Workaholics leiden öfter an Beschwerden wie Erschöpfung, Verdauungsbeschwerden und Rückenschmerzen.
- Workaholics schenken der Behandlung und Genesung weniger Beachtung als gelassene Arbeitende.
Verantwortung der Führungsebene
Fynn und Alissa bekamen von ihrer Chefin einen freien Tag verordnet. Ist das sinnvoll? «Falls noch keine Erkrankung vorliegt, können solche Schutzmassnahmen hilfreich sein», so Serge Brand.
Doch mit neueren Arbeitsformen wie dem Homeoffice braucht es klare Ansagen zu Unerreichbarkeit von den Verantwortlichen. Nur so können Arbeitnehmende vor Workaholismus geschützt werden – zu diesem Schluss kommen auch die Autorinnen und Autoren der Studie.
*Namen geändert
Wissenschaftsmagazin, 02.12.2023, 12:40 Uhr