Welchen Apfel würden Sie kaufen? Einen normalen «Gala»-Apfel aus integrierter Produktion, der 10- bis 15-mal gespritzt wurde, auch mit synthetischen Pestiziden? Oder vielleicht den etwas teureren «Gala» aus Bioproduktion, der aber rund doppelt so oft gespritzt wurde, aber mit weniger potenten Bio-Spritzmitteln? Oder dann doch lieber einen geneditierten «Gala», dessen Erbgut im Labor so modifiziert wurde, dass er nur noch halb so viel gespritzt werden muss?
Auch wenn es letztere Sorte auf dem Markt noch nicht gibt. Die Frage würde wohl einige Käuferinnen und Käufer in ein Dilemma stürzen. Doch der Reihe nach.
Krankheitsanfällige Apfelsorten
Der «Gala» ist der Star unter den Schweizer Apfelsorten. Für viele Konsumentinnen und Konsumenten verkörpert er den Tafelapfel schlechthin. Der rötliche, süssliche Apfel ist fast das ganze Jahr über in allen Fruchtauslagen zu finden. Er wirkt auch nach Monaten im Lager noch frisch und bleibt im Biss knackig. Mit über 30 Prozent der Gesamternte (Schätzung 2023) liegt er deutlich vor den Sorten «Golden Deliscious» (15 Prozent) und «Braeburn» (12 Prozent). Auch im Bio-Segment ist der «Gala» der unangefochtene Leader.
Doch der «Gala» und die anderen beliebten Apfelsorten haben ein Problem: Im Anbau sind sie empfindlich, sehr empfindlich sogar. Schädlinge und Pilzkrankheiten setzen diesen Äpfeln zu und müssen entsprechend in Schach gehalten werden, mit Pestiziden. Zum Einsatz kommen vor allem Fungizide gegen Pilzkrankheiten und Insektizide gegen Läuse, Milben und andere Käfer.
10- bis 15-mal gespritzt, im Bioanbau noch mehr
Zusammen mit den Weintrauben sind die Äpfel die meistgespritzte Kulturpflanzen der Schweiz. Im normalen Anbau sind pro Saison rund 10 bis 15 Spritzfahrten nötig. Dabei werden auch synthetische Pflanzenschutzmittel verwendet. Bio-Produzenten müssen die empfindlichen Äpfel gar noch öfters spritzen, da die von ihnen eingesetzten Schwefel- und Kupferpräparate vom Regen leichter abgewaschen werden und so ihre Schutzwirkung verlieren.
Und die Obstbauern stehen unter Druck: nur makellose Äpfel erzielen einen kostendeckenden Preis. Spuren von Schorf, Narben von Larven und Verfärbungen von Läusen werden kaum akzeptiert, weder vom Handel noch von den Kundinnen und Kunden. Von der gleichen Seite ertönt andererseits auch der Ruf nach mehr Nachhaltigkeit und weniger Chemieeinsatz.
Für Fachleute ist klar: mit den bestehenden Sorten lässt sich dieses Dilemma nicht lösen. Gefragt sind neue Sorten, die resistenter sind, vor allem gegen Pilzkrankheiten.
Bio-Züchter Niklaus Bolliger aus Hessigkofen (SO) umschreibt das Problem so: Praktisch alle Sorten, die heute angebaut werden, wurden unter dem Einsatz aller verfügbaren Massnahmen gezüchtet. «Also maximaler Pflanzenschutz. Und damit wurden Sorten selektiert, die darauf angewiesen sind», so Bolliger. Er greift in seiner Apfelzucht auf ältere und unbekannte Sorten zurück, mit dem Ziel spezifisch für den Biolandbau neue Sorten zu finden, die mit weniger Pflanzenschutzmitteln auskommen.
Apfelzucht: langwierige und aufwändige Selektion
Das gleiche Ziel verfolgt man an der Agroscope-Forschungsanstalt des Bundes in Wädenswil. Die Resistenz gegen Pilzkrankheiten ist dort ein zentrales Kriterium bei der Zucht neuer Apfelsorten. «Wir sind ziemlich radikal: Alles, was nicht resistent ist, schneiden wir einfach weg», sagt Agroscope-Apfelzüchterin Simone Bühlmann-Schütz. Und setzt dann die Schere an den Stiel des jungen Apfelpflänzchens, das vom Schorfpilz befallen wurde.
Sie steht in einem grossen Gewächshaus. Um sie herum sind 10'000 solcher kleiner Apfelbäumchen, von denen jedes einzelne eine potenzielle neue Apfelsorte ist.
Diese enorme Menge an Pflänzchen in der Selektion zeigt ein weiteres Problem bei der Apfelzucht: die enorme genetische Vielfalt, die bei jeder Kreuzung entsteht. Jeder Samen eines Apfels ist eine neue, spezifische Sorte, die sich völlig unterscheiden kann vom Apfel, wo er drinsteckte. Letztendlich stammt jede Sorte, egal ob «Gala», «Braeburn» oder «Jonagold» aus einem Samen, beziehungsweise dem Baum, der aus diesem Samen entstand. Das macht die klassische Züchtung mit der Kreuzung so aufwändig und langwierig.
Die Selektion erfolgt in mehreren Schritten: Nachdem die anfälligen Apfelbäumchen aussortiert wurden, gehen bei Agroscope jedes Jahr rund 800 robuste Bäumchen in den Anbau. Doch erst nach vier bis fünf Jahren tragen diese überhaupt das erste Mal Früchte.
Viele weitere Jahre vergehen mit Tests: Farbe, Geschmack, aber auch Ertrag und Lagerfähigkeit sind wichtige Kriterien, an denen auch vielversprechende Apfelbäume scheitern. Ist eine Sorte mal auserkoren, müssen die Bäume dieser Sorte dann zuerst in grosser Zahl vermehrt bzw. geklont werden, bevor sie in die Plantagen gesetzt werden können. So vergehen gut und gerne 20 bis 30 Jahre, bis eine neue Sorte im Laden ist.
Robuste Sorten auf Nischenplätzen
Erst dann entscheidet sich, ob sich die neue Sorte am Markt behaupten kann. Im Durchschnitt alle fünf Jahre gibt Agroscope eine neue Sorte heraus. Neuere Sorten von Agroscope wie «Ladina» und «Rustica» schneiden punkto Pilzresistenz besser ab als Gala & Co. «Ladina» ist sogar robust gegen das gefürchtete Feuerbrand-Bakterium. Auch aus ausländischen Zuchten gibt es Sorten wie «Topaz» oder «Bonita», die gegen Apfelschorf weniger gespitzt werden müssen.
Doch diese Sorten belegen auf dem Markt nur Nischenplätze, aus verschiedenen Gründen. Sie sind anders im Geschmacksprofil als die süsslichen «Gala» oder «Golden Delicious», unterscheiden sich bei der Lagerfähigkeit und vor allem: Es sind neue Sorten, deren Namen weder Handel noch die Käuferinnen und Käufer gut kennen. Am einfachsten wäre es, den beliebten «Gala» resistent zu züchten. Doch das ist mit der klassischen Züchtung nicht möglich, da ja bei jeder Kreuzung natürlicherweise jeweils viele neue Arten entstehen, mit anderen, neuen Eigenschaften.
Gezielte Eingriffe ins Erbgut
Im Labor hingegen ist es möglich, einen «Gala» mit neuen Abwehrkräften auszustatten. Hier kommt nun die Gentechnik ins Spiel und damit das Forschungsteam der ETH Zürich, welches zusammen mit Agroscope in Wädenswil am «Gala»-Apfel forscht. Dabei setzt man auf gezielte Eingriffe ins Erbgut. Bruno Studer, Professor für molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich, spricht von «neuen genomischen Techniken».
Der grosse Vorteil gegenüber der klassischen Züchtung: Alle Eigenschaften des «Gala»-Apfels – sein Aussehen, sein Geschmack, seine gute Lagerfähigkeit – bleiben bei diesen Eingriffen erhalten. Zudem lässt sich auch Zeit sparen, weil die aufwändige Selektion entfällt.
Das Forschungsteam arbeitet dabei mit zwei Methoden: der Cis-Genetik und der Genschere CRISPR/Cas. Die Cis-Genetik ist eigentlich klassische Gentechnik, bei der bestimmte Gene innerhalb der Art von einer Sorte auf eine andere übertragen werden.
Beim Versuch der ETH wurde ein Gen, das einen Wildapfel resistent gegen Feuerbrand macht, auf einen Gala-Apfel übertragen. Dieser Versuch wurde zuerst im Gewächshaus durchgeführt. Bei einem Freilandversuch in Zürich wurden von 2016 bis 2021 dann auch erfolgreich Bäume angebaut bis zur Ernte der Früchte.
Gentechnik als Chance für nachhaltige Landwirtschaft?
Die zweite Option: vermutete Anfälligkeiten im Erbgut der Äpfel mit der Genschere gezielt ausschalten – also die CRISPR/Cas-Methode. Der Fokus liegt dabei auf Feuerbrand und der verbreiteten Pilzkrankheit Schorf. «Unser Ziel ist es, verschiedene Resistenzmechanismen zu kombinieren, um so eine dauerhaftere Resistenz zu bekommen», so Studer. Die verwendeten Methoden sind laut Bruno Studer unbedenklich. Die Veränderungen, die man vornehme, könnten in der Natur genauso passieren.
Dieser Meinung sind viele Forscherinnen und Forscher im Bereich der Pflanzenzüchtung. Sie sehen in den gezielten Eingriffen eine grosse Chance, bestehende Sorten resistenter zu machen und mit erwünschten Eigenschaften zu ergänzen. Selbst der frühere Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FibL), Urs Niggli, fordert eine Neubeurteilung der Gentechnik. Sie sei als «nützliche Züchtungsmethode» zu sehen und könne bei der Wende zu einer ökologischen und nachhaltigen Landwirtschaft eine Rolle spielen.
Biolandbau setzt auf klassische Züchtung
Anders sieht das die grosse Mehrheit der Bio-Bauern in der Schweiz. Sie möchten am bestehenden Moratorium, das den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen verbietet, festhalten. Für sie kommt der Einsatz solcher Techniken im Biolandbau nicht infrage. Niklaus Bolliger, der Bio-Apfelzüchter, lebt diesem Credo nach und setzt auf die klassische Züchtung. «Im Gegensatz zum Labor suchen wir eben genau die natürliche Umgebung, das heisst: die natürlich-gepflegte Umgebung.» Er hofft, dereinst Sorten zu etablieren, die den auch im Biolandbau meistangebauten, empfindlichen «Gala» ablösen können.
Die Agroscope-Apfelzüchterin Simone Bühlmann-Schütz zeigt sich offener. Die neuen gentechnischen Methoden seien neue Werkzeuge, um gewisse Probleme gezielt angehen zu können. Sie seien deshalb eine gute Ergänzung der klassischen Züchtungsmethoden. Ähnlich sieht es auch ETH-Professor Bruno Studer. Es gehe auch nicht um entweder Züchtung oder Gentechnik, sondern darum, «dass man ganz sachlich und fachlich schaut, welche Methode am schnellsten und am effizientesten zum Ziel führt».
Tipp: alternative Sorten kaufen
Doch bis ein resistenterer, genmodifizierter «Gala»-Apfel im Laden zu kaufen ist, kann es noch eine Weile dauern. Zuerst muss der Anbau überhaupt zugelassen werden. Und selbst dann würden noch mehrere Jahre vergehen, bis ein solcher neuer «Gala» durchgeprüft ist, die Bäume vermehrt sind und Früchte tragen. Wer schon jetzt Äpfel essen will, die weniger gespritzt werden müssen, kann zu Sorten wie «Ladina», «Topaz», «Rustica» oder «Bonita» greifen. Es gibt also Alternativen – nur nicht immer und in jedem Laden.