«Sein Häusle in den letzten verbleibenden Idyllen zu bauen und gleichzeitig einen Top-ÖV-Anschluss zu fordern, ist ein finanzielles und ökologisches Desaster für die Gesellschaft», schreibt User «tleu». Er wohnt in der Stadt.
«Vielleicht sollte man anfangen, Sie bei uns auf dem Land genauso schlecht zu behandeln, wie Sie uns behandeln möchten», antwortet User «Mastplast». Er wohnt auf dem Land.
Dieser kurze Dialog aus unserer Kommentarspalte zum Interview mit dem deutschen Umweltpsychologen Gerhard Reese ist nur einer von vielen. Die Diskussionen unter unserem Artikel und im öffentlichen Diskurs zeigen deutlich auf: Der Stadt-Land-Graben in Sachen Nachhaltigkeit scheint gross.
Den Graben gibt es nicht
Menschen auf dem Land würden zu wenig für den Klimaschutz tun. Die Städter seien herablassend und würden das Leben ausserhalb der urbanen Zentren einfach nicht verstehen: Die gegenseitigen Anschuldigungen halten sich hartnäckig. Zuletzt nachdem das CO2-Gesetz an der Urne scheiterte.
Doch was ist dran am vermeintlichen Nachhaltigkeits-Graben zwischen Stadt und Land? ETH-Forschende haben für «SRF Wissen» Daten aus dem Schweizer Umweltpanel ausgewertet und kamen zum Schluss: Der Graben existiert gar nicht.
Der Wohnort hat wenig damit zu tun, ob eine Person umweltbewusst ist: Während 44 Prozent der Befragten aus der Stadt ein hohes Bewusstsein für Nachhaltigkeit aufweisen, sind es auf dem Land 38 Prozent. Laut Forschenden ist diese Differenz unbedeutend.
Umweltsünder sind reich und gebildet
Sarah Gomm, Politologin und am Projekt beteiligte Forscherin überraschen die Ergebnisse nicht: «Andere sozio-demografische Faktoren wirken sich viel stärker auf die Umwelteinstellung aus.»
Heisst: Die politische Gesinnung, Bildung, Einkommen und das Geschlecht – Frauen seien tendenziell umweltbewusster – würden eine viel grössere Rolle spielen.
Plus – und jetzt kommt der Haken – bedeutet ein grosses Bewusstsein für die Umwelt noch lange nicht, dass man sich auch so verhält. Im Gegenteil: Oft klaffen die Einstellung und das effektive Handeln auseinander. «Gebildete, wohlhabende Leute sind oft sehr umweltbewusst, haben gleichzeitig aber auch oft einen grösseren CO2-Fussabdruck», sagt Gomm. Das gelte praktisch für die ganze Schweiz. Denn Einkommen und Bildungsniveau sind hierzulande, verglichen mit anderen Ländern, sehr hoch.
Politische Brille ist entscheidend
Warum ist die Kluft zwischen Stadt und Land dann bei einer Abstimmung wie dem CO2-Gesetz trotzdem so hoch? Für Thomas Bernauer, Professor für Politikwissenschaften an der ETH und Leiter des Umweltpanels, ist vor allem die politische Einstellung entscheidend: «Um nicht viel überlegen zu müssen, stimmen die meisten einfach mit ihrer politischen Brille ab.» Menschen auf dem Land seien da im Gegensatz zur Stadtbevölkerung eben tendenziell eher konservativ.
Zielführender wäre es laut Bernauer, mehr auf individuelle Bedürfnisse einzugehen: Wenn beispielsweise die Besteuerung von Benzin und Diesel Hauptgründe gegen das CO2-Gesetz seien, könnte man mehr Ladestationen für Elektroautos bauen. «Denn schlussendlich sind wir alle gleichermassen von der Klimaerwärmung betroffen – egal ob wir auf dem Land oder in der Stadt leben.»