Der Spalt im Fels ist so eng, dass man sich kaum bewegen kann. Trotzdem robbt Christian Lüthi Zentimeter um Zentimeter rein. Der erfahrene Höhlenforscher und Sekretär der Höhlenschutzkommission ist auf der Suche nach Leben. Nach vier Minuten taucht er wieder auf: «Zwei Höhlenspinnen und vier Zackeneulen», gibt er zu Protokoll.
Die vier Höhlenforscher, mit denen ich im oberen Baselbiet unterwegs bin, protokollieren alle ihre Beobachtungen. Zwanzig Höhlen haben sie bereits je zweimal systematisch durchkämmt und dabei 170 Tierarten gefunden.
Richtige Höhlentiere kommen nie raus
Höhlentiere, die sich dem Leben in der Dunkelheit vollständig angepasst haben, sind vergleichsweise selten. Ihre Augen haben sich zurückgebildet. Dafür haben sie andere Sinne ausgebaut, wie den Geruchs- oder den Tastsinn. Sie leben von den wenigen Nährstoffen, die übers Wasser oder durch verirrte, verstorbene Tiere ins Innere der Höhlen gelangen. Und es gibt räuberische Tiere wie die Grosse Höhlenspinne, die sich von anderen Tieren ernähren.
Tiere, die nur in der Höhle leben
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Bild 1 von 5. Die Grosse Höhlenspinne (Meta menardi) gehört zu den auffälligsten Höhlentieren. In der wärmeren Jahreszeit ist sie eher im Eingangsbereich, im Winter weiter im Höhleninneren zu finden. Bildquelle: Christian von Burg.
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Bild 2 von 5. Höhlenflohkrebse haben sich dem Leben im Untergrund völlig angepasst. Bachflohkrebse hingegen (kleiner, rechts) sind nur im Eingangsbereich von Höhlen und draussen anzutreffen. Bildquelle: Valentin Moser.
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Bild 3 von 5. Bei diesem Pseudoskorpion haben sich die Augen zurückgebildet. Dieses Höhlentier ernährt sich von Milben, Springschwänzen und Insekten. Bildquelle: Valentin Moser.
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Bild 4 von 5. Kugelspringschwänze sind sehr klein und ernähren sich von verrottendem Material. Bildquelle: Valentin Moser.
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Bild 5 von 5. Diese Hundertfüssler-Art (Soleurus rothi) wurde bisher nur in der Schweiz in Höhlen nachgewiesen. Bildquelle: Valentin Moser.
«Verschiedene dieser Tierarten haben sich schon während der Eiszeiten in den Untergrund verkrochen», sagt der junge Biologe Valentin Moser, der an der Forschungsanstalt für Wald, Schnee oder Landschaft doktoriert, «deshalb gibt es auch einige Arten, die nur hier vorkommen und sonst nirgends».
Höhlen als Zufluchtsort im Winter
Mit seiner Stirnlampe leuchtet Moser in einen feuchten Felsspalt und entdeckt dort halb verborgen ein schwarzes Tier mit gelben Flecken. Ein Feuersalamander. «Sie sind meist draussen unterwegs», sagt Moser, «aber im Winter verkriechen sie sich hier, wo es keinen Frost gibt».
Tiere, die in Höhlen zu Gast sind
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Bild 1 von 4. Feuersalamander suchen gerne feuchte Höhlen auf und überwintern auch hier. Bildquelle: Valentin Moser.
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Bild 2 von 4. Zackeneulen, nachtaktive Falter, überwintern gerne in Höhlen. Im Sommer stechen sie mit ihren starken Saugrüsseln Früchte wie Brombeeren an. Bildquelle: Christian von Burg.
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Bild 3 von 4. Verschiedene Fledermäuse – wie hier ein Mausohr – verstecken sich im Winter in den Felsspalten der Höhlen. Oft sieht man sie gar nicht. Bildquelle: Valentin Moser.
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Bild 4 von 4. Der Winterschlaf ist nicht durchgehend. Wenn es die Temperaturen zulassen, verlassen die Fledermäuse ihr Winterquartier – hier eine kleine Hufeisennase – und jagen draussen nach Insekten. Bildquelle: Valentin Moser.
So wie die Feuersalamander machen es auch andere Tierarten, zum Beispiel die Zackeneule, eine Nachtfalterart, die im Sommer draussen gerne Früchte ansticht und aussaugt. Jetzt hängen zahlreiche Zackeneulen bewegungslos hier an den Höhlenwänden. Sie sehen aus wie verwelkte Buchenblätter.
Am Boden finden Moser und Lüthi Fledermauskot. Auch das wird notiert.
Slowenien: Ein Eldorado für Bio-Speläologen
Insgesamt ist die Tierwelt der Schweizer Höhlen schlecht erforscht. Es gibt eine gute Übersichtsarbeit, aber die stammt aus dem Jahr 1965. «In Italien und insbesondere in Slowenien, wo es viele Karsthöhlen gibt, ist die Bio-Speläologie viel weiter als bei uns», sagt Moser, «da wollen wir jetzt aufholen».
Ihre aufwändigen Bestandsaufnahmen machen die Höhlenforscher der Sektion Basel allerdings ausschliesslich in ihrer Freizeit.
Die Arbeit der Höhlenforscher
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Bild 1 von 4. Christian Lüthi und Valentin Moser wollen das Leben in den Schweizer Höhlen systematisch erforschen. Bildquelle: Christian von Burg.
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Bild 2 von 4. Auf den Wasserflächen lohnt sich die Suche nach kleinen Tieren besonders. Bildquelle: Christian von Burg.
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Bild 3 von 4. Die Speläologen drehen Steine um und suchen darunter nach Kleinstlebewesen. Jede Tierart wird dokumentiert. Bildquelle: Christian von Burg.
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Bild 4 von 4. Nicht jedermanns Sache: Christian Lüthi kriecht in die engsten Nebengänge. Bildquelle: Christian von Burg.
Von kleineren Tierarten sammeln sie Proben, die sie zur Bestimmung an Spezialisten weiterschicken. Insbesondere die vielen Mücken- und Fliegenarten unterscheiden sich manchmal nur in Details. Einige Arten lassen sich nur mit Genanalysen bestimmen.
Neue Tierarten im Grundwasser
Das genauere Hinsehen lohnt sich. Bisher ging man davon aus, dass es in der Schweiz etwa zwanzig Arten von Flohkrebsen gibt. Viele verstecken sich jedoch tief im Boden, im Grundwasser, das auch hier in einem rauschenden Bach durch die Höhle fliesst.
Dank zahlreicher Genanalysen weiss man unterdessen: Es gibt über vierzig Arten von Flohkrebsen. Das hat ein Forschungsprojekt des Wasserforschungsinstituts eawag und der Universität Zürich gezeigt.
Die Suche nach Leben im schweizerischen Untergrund dürfte also noch einige Überraschungen mit sich bringen.