Kaum über eine Stunde ist der Dokumentarfilm «Dahomey» von Mati Diop lang. Mit seinen letzten Einstellungen am Atlantikstrand von Benin wirkt er rückblickend wie der Prolog zu Diops 2019 in Cannes mit dem Grossen Preis der Jury ausgezeichneten Drama «Atlantique».
Die Doku dreht sich um Frankreichs Rückgabe von 26 Statuen und anderen Kunstwerken aus dem sogenannten Schatz von Béhanzin, Raubkunst aus kolonialen Zeiten, die bis dahin im Pariser Museum für aussereuropäische Kunst am Quai Branly ausgestellt waren.
Eine dieser Statuen lässt Mati Diop sprechen. Noch im Vorspann erzählt eine magische Stimme von Raub, Abtransport und Jahren im Dunkel.
Preise für kolonialkritische Werke
Statue Nummer 26 redet nicht in der offiziellen Amtssprache der einstigen Kolonie, nicht Französisch. Was man hört, ist lyrisch eindringlich, auch ein wenig furchteinflössend. Diop lässt die Geister der Vergangenheit nicht ruhen, sie beschwört sie.
Das setzt ein Nachdenken über koloniale Verschleppung in Gang, über den Raub einer Kultur und die damit einhergehenden Verluste. So richtig deutlich wird das insbesondere in der zweiten Hälfte des Films, in der Studierende in Benin über die Restitutionsaktion diskutieren.
Damit hat sich die Berlinale-Jury unter den 20 extrem unterschiedlichen Filmen des Wettbewerbs für eines der beiden kolonialgeschichtskritischen Werke entschieden.
Für das andere, den Film «Pepe», die wilde Geschichte der aus Afrika nach Südamerika verschleppten Nilpferde aus dem Privatzoo des Drogenbosses Pablo Escobar, bekam der Dominikaner Nelson Carlos De Los Santos Arias den Regiepreis der Jury.
Die Silbernen Bären
Der Grosse Preis der Jury ging nach Südkorea: Die Jury zeichnete das skurrile Kammerspiel «Yeohaengjaui pilyo» («A Traveler's Needs») des südkoreanischen Regie-Veteranen Hong Sangsoo aus. Isabelle Huppert spielt darin eine eigenwillige Französin, die sich in Südkorea als Sprachlehrerin über Wasser halten möchte.
Ebenfalls mit einem Silbernen Bären gewürdigt wurden der Deutsche Matthias Glasner für sein Familiendrama «Sterben» (bestes Drehbuch) und der Franzose Bruno Dumont für die Weltraumoper «L'empire» (Preis der Jury).
Schauspielerisch überzeugt hat die Jury dieses Jahr vor allem der rumänisch-amerikanische Schauspieler Sebastian Stan. Er erhielt den Silbernen Bären für seine Hauptrolle in der Tragikomödie «A Different Man».
Grosse Vielfalt, wenig auffällig
Im Hinblick auf die Vielfalt im Programm und gerade auch im Wettbewerb konnte sich diese 74. Berlinale sehen lassen, ohne allerdings als Jahrgang dabei besonders aufzufallen. Der scheidende künstlerische Leiter Carlo Chatrian tritt damit ab, wie er vor fünf Jahren vom Filmfestival Locarno gekommen ist: Als ausgewiesener, global vernetzter Spezialist für das Autorenkino.
In die Rolle als Gastgeber und damit eben auch als ganzjähriger Trommler für die Berlinale hat er dagegen im deutschen Kulturpolitikdschungel nie so richtig reingefunden. Doch auch so fand das grösste Publikumsfilmfestival der Welt fand einmal mehr riesigen Zulauf aus der Bevölkerung. Das hat die Berlinale den global und medial dominierenden europäischen Konkurrenten Cannes und Venedig nach wie vor voraus.
Die Gastgeberin gibt nun ab April die US-Amerikanerin Tricia Tuttle.