Seit die Menschheit um die Vernichtungslager des Holocaust weiss, wird darüber gestritten, ob und wie sich dieses Grauen in filmischen Bildern fassen lässt.
Steven Spielbergs «Schindler’s List» von 1993 gehört zu den wirkungsvollsten Versuchen der Filmgeschichte. Nun sind mit «Stella. Ein Leben» und «The Zone of Interest» zwei neue Filme mit Fokus auf die Nazi-Zeit und den Holocaust im Kino – mit ganz verschiedenen Ansätzen.
Was darf Kino über die Shoa?
Claude Lanzmann, der mit seiner neunstündigen Zeugendokumentation «Shoa» von 1985 zu den prägendsten Dokumentaristen des Holocaust gehörte, plädierte für ein komplettes Bilderverbot.
Über seinen Film sagte Lanzmann in der französischen Tageszeitung «Le Monde» vom 3. März 1994: «Es gibt in ‹Shoah› keine Sekunde mit Archivmaterial, weil dies nicht die Art ist, wie ich denke und arbeite, und, nebenbei gesagt, solches Material gibt es gar nicht. […] Wenn ich einen Film gefunden hätte – einen geheimen Film, weil das Filmen verboten war –, gedreht durch die SS, in dem gezeigt wird, wie 3000 Juden – Männer, Frauen und Kinder – zusammen sterben, in der Gaskammer des Krematoriums 2 in Auschwitz ersticken, so hätte ich ihn nicht nur nicht gezeigt, ich hätte ihn sogar vernichtet. Ich kann nicht sagen, warum. Das passiert von selbst.»
Gleichzeitig verstand er es als Lebensaufgabe, dafür zu sorgen, dass die Zeugenberichte nie in Vergessenheit geraten würden.
Dabei hat schon 1978 die US-amerikanische Fernsehserie «Holocaust» mit den Mitteln der Fiktion den öffentlichen Diskurs angestossen, gerade auch in der Bundesrepublik Deutschland, wo das Thema jahrzehntelang eher verdrängt worden war.
Es war dann aber Steven Spielbergs Spielfilm «Schindler’s List» von 1993, der den Schrecken und den Horror in breitenwirksame Bilder umsetzte.
Wie hätte ich gehandelt?
Spielberg nutzte dabei eine Täterperspektive, mit der zentralen Figur des Oskar Schindler. Schindler, der als Mitglied der NSDAP und damit zunächst als Profiteur ein Gewissen entwickelte und schliesslich rund 1100 Jüdinnen und Juden in seinen Fabriken vor der Ermordung im KZ Birkenau bewahrte, sorgte als Filmfigur dafür, dass sich die Frage «Was hätte ich getan?» dem Kinopublikum aufdrängte.
Die gleiche Frage will derzeit auch Kilian Riedhof mit seinem Film «Stella. Ein Leben» provozieren. Er erzählt die Geschichte einer jungen Jüdin in Berlin, die in den 1940er-Jahren untergetauchte Jüdinnen und Juden unter Zwang an die Gestapo verraten hat.
Opfer, Täter und die Tonspur des Grauens
Daniel Gerson vom Institut für Judaistik der Universität Bern hält das für typisch für das deutsche Kino zum Thema Holocaust. Das erzähle lieber aus der Opferperspektive und blende die Täterseite damit aus. Aber wer sich in Deutschland mit den Opfern identifiziere, entziehe sich letztlich der Verantwortung.
Das ist ein Vorwurf, den man dem britischen Filmemacher Jonathan Glazer nicht machen kann. Sein Spielfilm «The Zone of Interest» erzählt konsequent aus Täterperspektive.
Der Film konzentriert sich auf den Alltag von Auschwitz-Lagerkommandant Rudolf Höss und dessen Familie in der Villa mit Garten an der KZ-Aussenmauer. Was hinter dieser Mauer geschieht, ist allenfalls auf der Tonspur präsent: Schreie, Schüsse, Hundegebell.
Hier kann das Kinopublikum nicht ausweichen. Es muss sich in diesen Figuren spiegeln.