Licht aus! Nicht zu lange duschen! 18 Grad im Schlafzimmer sind genug! Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, der das Energiesparen immer ernst nahm. In der Übergangszeit feuerten wir das Cheminée ein. Die Bodenheizung kam erst mit dem harten Winter zum Einsatz.
Energie kann man auch sparen, wenn keine Knappheit droht. Kalt duschen kann man auch als tägliche Challenge gegen den inneren Schweinehund betrachten. Alles eine Frage der Perspektive.
Nun kommen die Appelle nicht aus dem Eltern-, sondern aus dem Bundeshaus. Die Energiespar-Kampagne für die Bevölkerung läuft auf allen Kanälen.
Mit Wärmebildern und praktischen Tipps rufen Politikerinnen und Wirtschaftsvertreter in einer Energiespar-Allianz zu Selbstdisziplin und Genügsamkeit auf. Das Ziel ist, 15 Prozent Gas zu sparen, um durch die kalte Jahreszeit zu kommen.
Wieso fällt uns Verzichten so schwer?
Sparen und Verzichten sind die Gebote der Stunde. Solidarität und Eigenverantwortung sind gefragt, denn wer will schon eine Energiepolizei. Doch kann eine Gesellschaft freiwillig verzichten, die sich in unbeschwerten Jahrzehnten an den Überfluss gewöhnt hat? Und warum erst jetzt? Braucht es dafür eine Krise und den bundesrätlichen Mahnfinger?
Krisen sind völlig ungeeignet, um alltagstaugliche Verhaltensmuster zu entwickeln.
Mit diesen Fragen gelange ich an Robert Tobias. Der Doktor der Psychologie an der Uni Zürich forscht unter anderem zu Verhaltensänderung und Gewohnheitsentwicklung.
Lernen aus der Krise
Dass wir über unseren Verhältnissen leben und den Ressourcenverbrauch grundsätzlich reduzieren müssen, sei das eine. Wie wir mit einer akuten Krise umgehen, das andere. «Krisen sind Ausnahmesituationen und völlig ungeeignet, um alltagstaugliche Verhaltensmuster zu entwickeln», sagt Robert Tobias.
Krisen erlauben uns höchstens Handlungsoptionen auszuprobieren, die wir sonst vielleicht nicht kennengelernt hätten, «und an denen wir so viel Gefallen finden, dass wir sie beibehalten.»
Zudem sei es nicht so, dass sich ohne Krisen nichts bewege. «Tatsächlich hat sich in den letzten 50 Jahren sehr viel getan, nur dass viele Änderungen an Verhaltens- und Entscheidungsmustern durch andere Entwicklungen kompensiert wurden», sagt Robert Tobias. So wurden Geräte immer effizienter, gleichzeitig gibt es immer mehr davon.
Ein weiterer Stressfaktor
Uns allen sei bewusst, dass unsere Gesellschaft mit grossen Problemen kämpfe – und jede und jeder versuche in dieser Situation physisch, psychisch und sozial zu überleben. «Dass nun die Energie-Versorgungssicherheit sinken wird, ist einfach ein weiterer Stressfaktor – und zwar vor allem für diejenigen, die sehr gut wissen, was es heisst, verzichten zu müssen.»
Die Situation der Knappheit ist zudem nicht neu: «Der Optimismus, dass wir irgendwann eine Gesellschaft erreichen, in der alle haben, was sie wollen und wir in Harmonie zusammenleben, ist wohl schon in den 1970er-Jahren verflogen», sagt Robert Tobias.
Die beste Option
Reichen die Appelle und die Kampagne, um die Selbstdisziplin der Bevölkerung zu aktivieren? Kaum, so der Fachmann. «Einfach nur an ein Verhalten zu appellieren, welches schon Norm ist, bringt meist wenig. Wir wissen ja alle, dass wir mit Energie sparsam umgehen müssen.»
Psychologisch fundierte Verhaltensänderungskampagnen könnten sehr wohl etwas bewegen. Aber das koste sehr viel Zeit und Geld in der Entwicklung und Umsetzung.
Das Prinzip wäre simpel: «Wenn man will, dass Menschen ein bestimmtes Verhalten zeigen, muss die Verhaltensoption im Moment, wo sie sich zwischen verschiedenen Optionen entscheiden, bewusst sein, als ausführbar erscheinen und die beste Möglichkeit sein.»
Energieeinsparungen müssen die in Kauf zu nehmenden Nachteile rechtfertigen können. Dann sind wir durchaus bereit, höhere Kosten zu tragen und Opfer zu bringen.
Nicht von sich auf andere schliessen
Das Problem: Viele Kampagnen beschränken sich auf die Veränderung einzelner Handlungen. «Aber wenn die Verhaltensänderung bedeutet, dass man von seinem sozialen Umfeld abgelehnt wird, man nicht mehr aus negativen Stimmungen rauskommt oder als jemand erscheint, der oder die man nicht sein will, wird man sein Verhalten nicht verändern», resümiert Tobias.
Man dürfe nie vergessen, dass Menschen verschieden sind, sagt er. «Eine bestimmte Verhaltensänderung kann für die einen einfach und für andere unmöglich sein. Daher muss man aufpassen, wenn man von sich selbst auf andere schliesst.»
Was den Überfluss so anziehend macht
«Weniger ist mehr»: Diese schöne Maxime ist wieder oft zu hören. Wir reden uns den Verzicht schön. Aber leider stimmt sie nicht, wenn wir einen Blick in die Geschichte des Menschen werfen.
Allein das «Mehr» habe in der Vergangenheit zu Erfolg und Wohlstand geführt. Weil der Mangel evolutionsgeschichtlich sehr lange dominant war, habe sich in uns eine «Vorratshaltung» entwickelt. Diese Meinung vertritt die deutsche Theologin und Philosophin Katharina Ceming, die in ihren Büchern der Frage nach einem guten Leben nachgeht.
Aus dem Vollen schöpfen
«Kulturgeschichtlich hat für viele Menschen das Mehr den grösseren Reiz, weil der Mangel über sehr lange Zeit die Lebensrealität war. Dass wir aus dem Vollen schöpfen können, ist eine sehr neue Entwicklung», sagt Ceming in einem Referat, das die ARD aufgezeichnet hat. Und nicht zu vergessen: Ein Grossteil der Menschen auf diesem Planeten lebt noch immer eher in einer Mangel- als in einer Überflussgesellschaft.
Besitz als Nachweis von Macht und sozialem Ansehen funktioniert noch heute. «Mit dem, was wir besitzen, unterscheiden wir uns von anderen. In individualisierten Gesellschaften schätzen Menschen das», sagt sie.
Konsumkritik gibt’s schon lange
Gleichzeitig ist die Kritik am «Immer mehr» nicht neu, sondern vielmehr eine kulturgeschichtliche Konstante. Schon in der Antike wurde erkannt, dass Zufriedenheit und Glück nicht durch äusserliche Dinge, sondern durch eine innere Haltung zu erreichen sei.
Wie auch Robert Tobias sieht Katharina Ceming einen Wendepunkt in den 1970er-Jahren. Damals sei uns die Endlichkeit der Ressourcen vor Augen geführt worden. Die Konsumkritik war geboren, sie habe es aber nie zu einer Massenbewegung geschafft.
«Reduktionsideen tauchen immer wieder auf. Aber de facto ist es nur eine relativ kleine Gruppe von Menschen, die sich dafür erwärmen kann», sagt Ceming. Eine gebildete, gut situierte, oft in kreativen Berufen tätige Gruppe strebe einen bewussteren Konsum an und sei überzeugt, damit etwas zu bewirken.
In der Neuzeit ist Konsum zu einer Frage von Moral und Wohlstand geworden – aber Verzicht muss man sich leisten können. «Wenn man schon ausreichend hat, lässt man auch leichter los», bringt es die Publizistin auf den Punkt.
Prognose: Gelingt uns der Verzicht?
Stehen wir nun an einem erneuten Wendepunkt? Oder wird die Krise genauso schnell vergessen sein wie Corona?
Verhaltensforscher Robert Tobias wagt keine Prognose: Schweizerinnen und Schweizer hätten in der Corona-Pandemie bewiesen, dass sie fähig und willens sind, sich an schwierigere Umstände anzupassen und mit Krisen umzugehen. Der Erfolg hänge von der weiteren Lage ab. «Energiesparen ist das eine. Tagelang ohne Strom, Wasser und andere Dinge der Grundversorgung zu leben, etwas ganz anderes.»
Ein Überreagieren verhindern
Die staatlichen Weisungen seien in diesem Zustand der Verunsicherung zentral: «Niemand weiss, wie mit einer Situation umgehen, der man noch nie begegnet ist. Je konkreter und verbindlicher Verhaltensweisen kommuniziert werden, desto eher verhindert man nicht nur, dass Leute zu wenig tun, sondern auch, dass diese überreagieren», sagt Tobias.
Eine Überreaktion wäre zum Beispiel, wenn sich alle Dieselgeneratoren anschaffen und Hunderte Liter Treibstoff hamstern. «Die Verbindlichkeit hilft, das eigene Verhalten in einen grösseren Kontext einzuordnen, da man annehmen kann, dass sich andere nun auch so verhalten.»
Wir überschätzen unser Verhalten
Liegt die Hoffnung in den kommenden, gesättigten und vom Konsum gelangweilten Generationen? Vielleicht, aber allein auf den Willen und die Freiheit zum Verzicht sollen wir uns nicht verlassen. «Wir überschätzen oft masslos die eigene Bereitschaft, etwas zu tun. Und wir neigen dazu, uns in einem besseren Licht zu sehen, als wir tatsächlich stehen», mahnt die Philosophin Katharina Ceming.
Verbraucher seien nicht so vernunftgesteuert, wie sie das gerne wären. Darum seien grosse Veränderungsprozesse nur durch die Veränderung der Rahmenbedingungen zu erreichen. «Verhältnisse ändern das Verhalten», sagt Ceming. Das hätten die Massnahmen gegen das Rauchen gezeigt.
Auch der Verhaltenspsychologe Robert Tobias ist der Meinung, dass unsere individuellen Entscheidungen von strukturellen Massnahmen abhängen: «Mit einer Kombination von strukturellen Massnahmen und psychologischen Kampagnen können die besten Resultate erzielt werden.»