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Glücklich nur mit Brühe Heilfasten & Co. – warum Verzicht so trendy ist

Ein letzter Biss ins Schokocroissant, dann wird der Gürtel enger geschnallt. Derzeit misst man sich wieder in Willensstärke. Verzichtet wird auf Alkohol, das Handy oder Nahrung. Woher kommt der Verzichts-Fetischismus? Und ist weniger wirklich mehr?

Das Leben ist hart. Warum sollten wir es noch härter machen? Mit Neujahrsvorsätzen, die primär den Verzicht loben. Von Veganuary über Dry January bis zum Heilfasten: Entsagung scheint die Lösung der Stunde zu sein.

Leiden am Überfluss

Wie um alles in der Welt kann das freiwillige Entsagen von dem, was wir als materiellen Fortschritt verstehen (also Wohlstand, Essen auf dem Tisch, Zugang zum Internet und andere Annehmlichkeiten), in grösserer Zufriedenheit münden? Ist es möglich, dass man nicht nur an einem Mangel, sondern auch unter Überfluss leiden kann?

Mann mit Brille und Bart in Hängesessel, hält eine Tasse.
Legende: Weg von Konsum und Überfluss: Für viele Menschen ist das Fasten ein Ruhe-Finden. IMAGO/HalfPoint Images

Ja, meint die Ärztin Françoise Wilhelmi de Toledo: «Die Menschen versuchen, wie Computer zu leben, dabei wird vergessen, dass wir körperliche Zyklen haben: Essen und Fasten, Schlafen und Bewegen, Einatmen und Ausatmen.»

Sehnsucht nach Verzicht

Pausen seien zentral für den menschlichen Organismus, das Bewusstsein dafür wäre aber abhandengekommen. Genau dahin führe uns die Sehnsucht nach Verzicht zurück, meint die Genferin, die lange eine Fastenklinik in Überlingen am Bodensee leitete.

Den meisten Menschen, die heutzutage in diese Privatklinik kämen, ginge es darum, eine Pause von ihrem stressigen Alltag zu haben und damit einen Ausgleich zu ihrem restlichen Leben zu schaffen. In der Ruhe des Fastens und des Rückzugs könnten sie sich selbst besser begegnen.

Hungern nach Ruhe und Glück

Auch die Theologin Noa Zenger beobachtet einen starken Leistungs- und Erfolgsdruck. Etwas, das sie von sich selbst kennt. Die gebürtige Berner Oberländerin hat sich vor zwei Jahren in die Bündner Berge zurückgezogen, um ihr Leben zu entschleunigen, der Ruhe mehr Platz einzuräumen.

Dort arbeitet sie als Pfarrerin und leitet zweimal im Jahr Fastenkurse im Lassalle-Haus in Bad Schönbrunn, oberhalb von Zug. Es sind Kurse, die nicht nur dem Essen entsagen, sondern auch dem Sprechen: Gefastet wird hier im Schweigen.

Sieben Tage nur Flüssiges

Der Speiseplan dieser Kuren ist übersichtlich: Es gibt Tee, Säfte, eine einfache Brühe, auch Monobrühe genannt, und Wasser. Dafür fällt das Begleitprogramm üppiger aus. Angeboten werden Meditationen, Gottesdienste sowie Leibübungen, Wanderungen und verschiedene Impulse rund ums Thema Fasten.

Die Kur bereitet man zu Hause vor, es gehen zwei bis drei sogenannte Entlastungstage voraus, in denen man die Nahrungszufuhr bereits reduziert und eine Darmreinigung vornimmt.

Raus aus der Selbstentfremdung

Was suchen Menschen in solchen Extremerfahrungen? «Oft besteht die Sehnsucht nach einer Zäsur zwischen Arbeiten und Konsumieren.» Die verschiedensten Drücke, denen Menschen in dieser Gesellschaft ausgesetzt sind, führten zu einer Selbstentfremdung, die wiederum eine tiefe Sehnsucht «nach uns selbst» anstossen würden, beschreibt die Theologin ihre Begegnungen.

Findet sich im selbstbestimmt leeren Magen die Fülle des menschlichen Glücks? Das ist man zu denken geneigt, wenn man die Erfahrungsberichte von Menschen hört, die es schon mal mit Heilfasten versucht haben.

Nicht ausgehungert

Wer eine Zeit lang verzichte, stelle fest, dass etwas Tieferes trage, so die Theologin. «Wenn das Gefühl von Leere zugelassen werden kann, steigt die Fülle auf, die im ganz wesentlichen Sinne nährt.»

Fasten sei eine zutiefst spirituelle Erfahrung. Die Wahrnehmung werde geschärft und das Bewusstsein für das «schlichte Genug» wachse, wenn Energie aus den körpereigenen Reserven bezogen würde, sind sich die Theologin Noa Zenger und die Ärztin Françoise Wilhelmi de Toledo einig. Beide haben sie Jahrzehnte an Fastenerfahrung gesammelt.

Was sagt die Forschung?

Ob nun für die Figur und Gesundheit oder aus spirituellen Gründen: Das wissenschaftliche Interesse am Fasten und seiner Heilfähigkeit hat in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommen.

Viele Menschen fasten – warum?

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Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov zeigt: In Deutschland haben 40 Prozent der Bevölkerung bereits einmal gefastet . 35 Prozent gaben an, Intervallfasten – also einen Nahrungsverzicht für 12 bis 16 Stunden pro Tag – ausprobiert zu haben, etwa ein Viertel Heilfasten. Manche alleine zu Hause, andere in Gruppen bei Fastenkursen.

Das Ziel der Enthaltung: gesünder leben und langsamer altern. Für die Schweiz wurden zwar keine Zahlen erhoben, es ist aber davon auszugehen, dass diese ähnlich ausfallen würden.

Noch vor 45 Jahren war das ganz anders: «Als ich in Genf Medizin studierte, wollte ich genauer wissen, was im Körper vorgeht, wenn man fastet. Keiner meiner Professoren konnte mir damals Antworten geben», erzählt Wilhelmi de Toledo.

Selbstverzehrung des Körpers

In den vergangenen zehn Jahren hätte es immer mehr Studien zum Thema gegeben, und die therapeutische sowie präventive Wirkung von Fasten sei damit zunehmend wissenschaftlich belegt worden, so die Ärztin.

Heilfasten verjünge den Körper, helfe gegen Rheuma, Bluthochdruck und Arthritis, erklärt sie. Fasten setze Selbstheilungskräfte in Kraft, unter anderem wegen der durchs Fasten beschleunigte Autophagie – wörtlich «Selbstverzehrung» . Ein Mechanismus innerhalb der Zellen, für dessen Entdeckung 2016 der Nobelpreis verliehen wurde.

Pionier Otto Buchinger

Ursprünglich war es der deutsche Marinearzt Otto Buchinger, der 1919 aufgrund einer bis dahin als unheilbar geltenden rheumatischen Arthritis das Fasten für sich entdeckte. 19 Tage trank er lediglich Wasser. Danach war er zwar abgemagert, doch seine Beweglichkeit war zurückgekehrt und die Schmerzen waren weg.

Diese Erfahrung wollte Buchinger weitergeben. Er begann, eine Fastenmethode zu entwickeln, die heute weltweit geschätzt und angewandt wird. Buchinger setzte dabei nicht nur auf Verzicht, sondern regte an, Nahrung der anderen Art aufzunehmen: durch Lektüre, Naturerfahrung, Religion.

Buchinger war bekennender Christ, hat den Katholizismus für sich entdeckt und betonte den sozialen Aspekt, den das Fasten haben soll.

Masshalten!

Auch die Philosophen der Antike waren überzeugt, dass nicht Völlerei, sondern Mässigung ein gutes Leben ermögliche. Freilich wussten sie noch nicht so genau, was dabei im Körper passiert.

Schon 400 Jahre vor Christus lobte Hippokrates die wundersame Heilkraft des Fastens. Wer stark, gesund und jung sein wolle, heile sein Weh eher durch Fasten als durch Arzneien.

Antike Illustration eines Mannes mit langem Bart und Buch.
Legende: Hippokrates von Kos (circa 460–370 v. Chr.) gilt als Vater der westlichen Medizin. Seine Theorie: Die vier Flüssigkeiten des Körpers (Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle) seien die Hauptursachen für Krankheiten. Als Alternative zu Arzneimitteln propagierte er das Fasten. Getty Images/Stock Montage

Mässigung, Zurückhaltung, Einkehr – Eigenschaften, die in verschiedensten Religionen und über alle Zeiten hochgehalten werden. Im Buddhismus ist Fasten zwar nicht vorgeschrieben, aber es ist sehr verbreitet. Durch Fasten befreie man sich beispielsweise von negativem Karma.

40 Tage in der Wüste

Hindus fasten regelmässig, zum Beispiel zu Ehren eines Gottes, zum Jahresanfang oder im Herbst. Fasten diene der Läuterung und der Selbstkontrolle. Gleich 40 Tage und Nächte soll Moses auf dem Berg Sinai auf Nahrung verzichtet haben, genauso wie später Jesus in der judäischen Wüste. So entstand im Christentum die Idee der Fastenzeit vor Ostern.

Im Islam gehört das Fasten während des Ramadans zu einer der fünf Säulen der Religion und ist damit verpflichtend – für alle, die sich dadurch gesundheitlich nicht schaden. Verzicht und Enthaltsamkeit sind vielen Religionen gemein, sie wurden allerdings auch zu politischen Ermächtigungs-Zwecken bemüht.

Fasten für den Frieden

Mahatma Gandhi beispielsweise fastete regelmässig. Aus Protest, um politischen Druck auszuüben. Auch Martin Luther King, dessen Prinzip des gewaltlosen Widerstands auf Gandhis Ideen basierte, frönte dem Fasten.

Zwei Männer, einer sitzend, der andere kniend.
Legende: Der Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung, Mahatma Gandhi (links), führte im Mai 1933, auch nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis, seinen Hungerstreik für die «Unberührbaren», die unterste Kaste der indischen Gesellschaft, fort. KEYSTONE/Str

Der Nahrungsverzicht hat also auch eine sozial-politische Dimension. Schon der Kirchenvater Basilius der Grosse verband ihn mit der Idee des Friedens. Sein Vorschlag: Vor wichtigen Entscheidungen fasten. Denn Fasten macht durchlässig und empfindsamer. So würde es auch mehr Frieden geben.

Ein Versuch wäre es wert. So günstig gab es Frieden noch nie.

SRF 1, Sternstunde Religion, 5.1.2025, 10:00 Uhr

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