Eins vorweg: Die dritte Generation der RAF ist sicher nicht «Pop». Niemand kennt ihre Namen, niemand weiss, wie sie aussehen. Niemand kannte die Opfer, bevor sie zu Opfern wurden. Etwas zynisch kann man sagen: Wäre die dritte Generation in irgendeiner Weise «Pop» gewesen, hätte sie niemals so lange in Freiheit gelebt.
Ganz anders die erste Generation. Die war sehr wohl «Pop». Das lag zum einen an ihren Köpfen. An Gudrun Ensslins protestantischem Radikalismus. An Ulrike Meinhofs Vergangenheit als linke Spitzenjournalistin. An Andreas Baaders Rolle als Gruppen-Arschloch.
Es lag an der geschickten Umdeutung ihrer Rolle von Tätern zu Opfern. Und es lag an der Bundesrepublik selbst, die der Gruppe die Plattform geboten hat, diesen Status zu erreichen.
Fahndungsfotos wie Panini-Bilder
Allein schon die Fahndungsplakate! Bis heute Bestandteil der Popkultur der 1970er-Jahre. Für manchen Teenager gab es kaum einen Unterschied zwischen einem Panini-Bild von Paul Breitner und dem Fahndungsfoto von Holger Meins. Ob nun Fussballer oder Terrorist: Die Leute gehörten zum Inventar der Zeit und waren cool.
Sie stiessen rasch vor ins arrivierte Kulturleben. Als Gegenstand einer künstlerischen Aufarbeitung. Heinrich Bölls Roman «Die verlorene Ehre der Katharina Blum» – damals schon Schullektüre – gilt als erste nennenswerte Auseinandersetzung mit der gerade beendeten Fahndungshysterie.
Filme sind Teil der Geschichte
Die Verfilmung des Stoffes durch Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta füllte die Kinos und Margarethe von Trottas Film «Die bleierne Zeit» aus dem Jahr 1981 mit dem schockierenden Bild der durch die Strangulation entstellten Gudrun Ensslin schloss den Reigen ab und gehört bis heute zu den grossen deutschen Filmen der Zeit.
Interessanterweise wirken diese Filme und Bücher heute nicht mehr nur wie eine Reaktion auf die RAF, sondern wie ein Teil der Geschichte selbst. Die Rezeption verschmilzt mit dem Ereignis.
In Alexander Kluges Schlussszene zum Film «Deutschland im Herbst» wird Bildmaterial der Beerdigung Baaders, Ensslins und Raspes mit Joan Baez’ Hymne «Here’s to you» unterlegt, während gleichzeitig eine Hippiefrau in Poncho mit Kind an der Hand zu sehen, die eine Mitfahrgelegenheit sucht und nicht findet. An Pathos kaum zu überbieten. Dennoch eindrücklicher als die Realität.
Ist das nun Popkultur? Wenn das Abbild zur Sache selbst wird? Damit seinen Schrecken verliert? Lenin als Kultfigur? Che Guevara als Held? Aber was, wenn statt Che plötzlich T-Shirts mit den Konterfeis der NSU-Täter auftauchen würden?
Vielleicht ist der ehrlichste Ansatz eines Umgangs mit dem Phänomen des deutschen Terrorismus der von Frank Witzel. In seinem mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman «Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969» zeigt er die Faszination der RAF an zwei Spielfiguren, die im Kopf eines fantasiebegabten Jungen zu Andreas Baader und Gudrun Ensslin werden. In Wirklichkeit sind sie nichts anderes als eine Indianerpuppe und eine Playmobilfigur. Barbie für Linke.
Die dritte Generation der RAF, die heute in den Schlagzeilen steht, wird kaum je Gegenstand bedeutender kultureller Erzeugnisse sein. Vermutlich hat sie nicht mal das Zeug zum Plastikspielzeug. Für die Kultur ist das vielleicht ein Verlust. Für die Demokratie ist es ein Glück.