Dass eine Frau beim Online-Gaming sexistisch beschimpft wird, scheint fast mehr Regel als Ausnahme zu sein. Bei Shooter-Games sowie bei Wettkämpfen zielen männliche Gamer leider des Öfteren verbal unter die Gürtellinie. «Suck my cock» und dergleichen kommen nicht selten über das Headset bei Frau an.
Auch altertümlicher Sexismus scheint in der Gamingszene noch nicht ausgedient zu haben: Beleidigungen wie «Geh zurück in die Küche, wo du hingehörst» hat auch Rahel Bryner, eine Hobby-Gamerin aus Biel, schon zu hören bekommen. Obwohl fast die Hälfte aller Gamer und Gamerinnen weiblich sind, ist der Sexismus in der Szene nach wie vor ein grosses Problem.
Die 30-jährige Uhrmacherin und angehende Kinderbetreuerin lässt sich das Gamen aber nicht vermiesen. Ihr Mann und sie haben eine Gruppe an Freunden und Freundinnen, mit denen sie allabendlich rund zwei Stunden spielen. Am Wochenende können es auch mal sechs Stunden pro Tag werden.
«Ich freue mich, wenn ich einen anstrengenden Tag hatte und mich dann mit meinen Leuten beim Gamen treffen kann. Es ist auch meine Psychohygiene», sagt Bryner.
Gamerinnen fühlen sich schuldig
Ein wenig muss sich Rahel Bryner rechtfertigen. Sie mache noch viel Sport, sitze nicht nur zu Hause herum. Das scheint typisch zu sein. Denn eine Untersuchung von Undone Games und Unity meint, dass sich fast 30 Prozent aller Frauen schuldig fühlen, wenn sie sich Zeit nehmen für Videogames.
Viele bezeichnen sich aus Scham nicht als «Gamerin» – oder reden überhaupt nicht über ihr Hobby. Zudem sei auch das Alter ein Thema bei ihr, meint Bryner: «Ich bin 30-jährig – und je älter man wird, desto aussergewöhnlicher scheint es zu sein, wenn man eine Gamerin ist.»
«Overwatch» ist ihr Lieblingsgame. Ein Multiplayer-Shooter-Game, bei dem man in einem Team gegen ein anderes Team kämpft. Genau das, was landläufig als Baller-Game bezeichnet wird.
Frauen wird gerne anderes zugeschrieben als das Spielen von Shooter-Games wie «Overwatch». So eher die «gemütlichen» Spiele, bei denen man zum Beispiel ein Puzzle macht oder einen Garten bepflanzt.
So ganz kann Frau die gängigen Rollenmuster auch im Spiel nicht umgehen. Rahel Bryner spielt in «Overwatch» mit der Figur «Mercy», einer Blondine mit grossen Brüsten und schlanker Figur. Mercy ist ein Schutzengel, der die anderen Teammitglieder heilt. Also die scharfe Krankenschwester, um es salopp auszudrücken.
Als das Spiel «Overwatch» 2016 herauskam, haben Fans – man vermutet stark, dass es männliche Fans waren – animierte Pornos mit den Spielfiguren produziert. Die Figur «Mercy» mischt dort auch ungefragt mit. Das ist Teil des Problems, zu welchem auch die Spielehersteller beitragen: Sex sells, und die Charaktere werden häufig für den männlichen Blick designt.
Als Frau bei Gaming-Turnieren unerwünscht
Dilana Kunz, mit Gamer-Namen Sunny, ist angehende Ärztin und hat das berühmte Handyspiel «Brawl Stars» im Griff wie wenige andere. Als sie bei internationalen Turnieren antreten wollte, wurden ihr die Grenzen aufgezeigt. Als Frau in einem Team zu spielen, scheint nicht gut anzukommen.
«Oft haben mir Coaches gesagt, dass sie mich gerne im Team hätten, aber dass sie befürchten, dass die Team-Chemie kaputtgeht», sagt Dilana Kunz. Noch konkreter habe es eine andere Frau ausgedrückt: «Die Freundin eines Mitspielers hat sich auch an mir gestört und wollte nicht, dass ihr Freund so viel Zeit beim Gamen mit mir verbringt.» Ein grundsätzliches Problem sei auch, dass es zu wenige weibliche Vorbilder in der Szene gebe, so Kunz.
Dilana Kunz hat sich eine Aufgabe gesucht, bei der sie nicht auf den Goodwill der Mitspieler angewiesen ist. Sie hat angefangen zu «casten», also E-Sport-Events zu kommentieren und zu moderieren. Sie findet: «Es gibt nicht nur zu wenig Frauen, die sich an Turniere wagen, es gibt auch zu wenig Frauen, die sich vor die Kamera trauen.»
In Europa gibt es mittlerweile fünf Frauenteams bei Brawl Stars. Kunz coacht eines davon. Und es gibt «Safe Spaces» – also Turniere nur für Frauen – was aber im Grunde schade ist. Denn beim E-Sport ist Mann nicht per se stärker. Die Frauen können dabei genauso mithalten wie ihre männliche Konkurrenz. Könnten, wenn man sie nicht sexistisch davon abhalten würde.
Viele Frauen spielen online mit einem neutralen Namen, der nicht auf ihre Weiblichkeit hindeutet. So versuchen sie, sich von den Anfeindungen der oftmals männlichen Spieler zu schützen.
Indie-Game-Studios sorgen für Diversität
Tabea Iseli produziert mit ihrem Game-Studio «Stardust» Indie-Games auf diverse Art und Weise. Sie ist Teil der neueren Game-Bewegung. «Viele neue, kleine Studios leben eine gesunde und inklusive Kultur und entwickeln Games, die nicht nur für den stereotypen – männlichen – Gamer gedacht sind», sagt sie.
Die grossen Game-Hersteller wurden immer wieder mit Forderungen konfrontiert, dass es Veränderungen braucht. Veränderungen bei den Arbeitsbedingungen, Veränderungen in der männlichen Führungskultur, Veränderungen bei der Ausrichtung der Spiele.
Wenn sich problematische Strukturen über Jahrzehnte eingenistet haben, ist es bekanntlich oft nicht einfach, diese aufzubrechen. Die Game-Industrie hat noch Luft nach oben, um es zurückhaltend auszudrücken. «Vergleicht man Games mit anderen Medien wie Büchern, TV-Serien oder Filmen, dann sehe ich bei Games bezüglich der Themen und Settings immer noch riesiges Potenzial, neue Dinge zu erkunden», sagt Tabea Iseli.
Die Menschen spielen in der Regel gerne mit einem Charakter, der ihrem Gender entspricht und die eigene Persönlichkeit repräsentiert. Die Welt besteht bekanntlich nicht aus dem muskulösen Elite-Soldaten.
Männer mögen weibliche Spielfiguren
Bei Quantic Foundry, einem Marktforschungsunternehmen im Game-Bereich, hat man in einer Befragung herausgefunden, dass 29 Prozent der Männer auch eine weibliche Figur vorziehen. Was dafür sprechen würde, mehr weibliche Figuren zu designen (vielleicht nicht nur mit grossen Brüsten und als Sanitäterin). Das gibt Hoffnung, bis man den Grund dafür erfragt.
Der durchschnittliche männliche Spieler schaut beim Gamen lieber einer Frau auf den Hintern als einem Mann. Zudem kann es ein psychologischer Vorteil sein, mit einer weiblichen Figur zu spielen, weil diese eher in ihrer Stärke unterschätzt werden.
Schweigen ist nicht Gold
Es kann zermürbend sein, wenn man beim Gamen immer und immer wieder sexistische Aussagen zu hören bekommt. Aufhören, sich dagegen zu wehren, ist nicht die Lösung. Mit dem Gamen aufzuhören, auch nicht. Sich nicht als Frau zu «outen» beim Online-Gaming ist im Endeffekt auch nicht dienlich. Schutzräume zu bieten, ist immerhin ein Anfang.
Theresa Schaffer nimmt sich dem Thema Sexismus in der Gamingszene an. Früher Privat-Jet-Pilotin arbeitet sie heute bei MYI Entertainment, einer Agentur, die sich aufs Gaming konzentriert.
Momentan arbeitet sie eine Sensibilisierungskampagne aus. Sie findet: «Es kann nicht sein, dass wir tausende Extra-Turniere für Frauen organisieren, nur weil immer noch einige meinen, die Frauen gehören in die Küche».
Es müsste sich auch bei den Männern etwas tun. Männliche Influencer sind gesucht, die den Mut haben, hinzustehen und sich gegen Sexismus auszusprechen: «Wie lernen junge Männer etwas kennen? Durch ihre Freunde oder ihre Vorbilder. Und bei der Generation Z und darunter sind das oft Influencer, häufig auch Gaming-Influencer», so Schaffer.
Das Gaming-Problem ist ein Online-Problem
Die Game-Entwicklerin Tabea Iseli plädiert dafür, dass sich Gamerinnen und Gamer im Online-Raum unterstützen: «Wenn sich ein Opfer gegen Sexismus wehrt, dann macht das bei Tätern kaum Eindruck. Wenn sich aber die anderen Mitspielenden gegen dieses Verhalten aussprechen, sieht die Dynamik oft ganz anders aus.»
Es gibt noch einiges zu tun. Der ausdrückliche Sexismus und die Anfeindungen sind leider auch ein Übel der Online-Welt und nicht einfach ein Gaming-Problem. Denn in dieser Welt sind viele anonym, haben kein direktes Gegenüber – und verlieren dann den Filter.
Der Sexismus beim Gaming sagt nichts darüber aus, wie «gut» oder «böse» Videospiele sind. Sondern die Kommentare sagen aus, wie steinzeitlich, sexistisch und primitiv der Mensch funktionieren kann. Das ist ein grundsätzliches Problem.