Rhodos ist ein Sehnsuchtsort, eine Insel mit einer besonderen Anziehungskraft, die über Jahrtausende Byzantiner, Venezianerinnen, Genuesen oder Osmaninnen anzog. Dadurch gehört Rhodos aber seit Jahren auch zu einer touristischen Attraktion. Jedes Reisebüro scheint ein besonderes Angebot zu haben, um mich dorthin zu verlocken.
Eigentlich will ich diesen Ort nicht besuchen, nicht dann auf sie zugehen, wenn die Insel eine touristische Scheinkultur trägt, mit viel Lärm, überfüllten Stränden, saisonalen Anreize, die wie ein flüchtiges Schauspiel wirken, als würde die Stadt keinen Winter kennen, keine Stille. Aber mich zieht ihre Geschichte an, ihre vielen Gesichter.
Eine Stadt mit vielen Gesichtern
In Internetforen werde ich beruhigt, dass Rhodos nicht auf der «klassischen» Flüchtlingsstrecke liege und man deshalb sorglos dort Urlaub machen könne, ohne mit Flüchtlingen in Berührung zu kommen.
Die «Entwarnung» ist trügerisch. Es gibt Flüchtende auf der Insel. Und Rhodos ist überhaupt eine multikulturelle und multireligiöse Stadt, die in ihrer Geschichte von Flucht, Entwurzelung und Neubeginn geprägt ist.
Und da bin ich. Da ist die Stadt – von der Hitze umhüllt, als wollte sie sich mir nicht zeigen. Vielleicht sind die hohen Stadtmauern von Rhodos ein Motiv für die Insel, die ihre Schätze verbirgt, bei der nichts ist, wie es scheint. Ich fahre mit dem Bus in die Altstadt. Die laute Musik, ein griechisches Klagelied übertönt die vielen Sprachen, die durch- und ineinander zu hören sind.
Pindar und die Nymphe
Als Lektüre habe ich eine Ausgabe von dem antiken Dichter Pindar dabei. Für mich eine übliche Urlaubslektüre und verstehe deshalb nicht, warum mich im Bus andere Urlauber etwas befremdlich anschauen. Bei Pindar entdecke ich, dass die Stadt aus dem Meer entstanden ist und nach der Nymphe Rhode benannt wurde.
Die Mythen um die sagenumwobene Stadt lassen mich vergessen, dass ich aus dem Bus ausgestiegen bin und mich von der Schar der anderen Besuchenden inmitten der Altstadt befinde. Ich suche nach Orientierung, bin aber geblendet von den vielen Läden. Ich bin auf der Sokrates-Strasse.
Graue Kuppel, rosa Mauern
Ich blicke in die Strasse hinein und sehe an ihrer Nordspitze eine Moschee, deren Minarett mit der grauen Kuppel mir wie eine verlorene, aus der Zeit gefallene Heimat vorkommen. Da steht sie, im Türkischen Viertel mit seinen schmalen Gassen, türkischen Bädern und kleinen Plätzen.
1522 haben die Osmanen die Insel unter der Führung von Süleyman I. eingenommen. Die Johanniter waren besiegt. Süleyman I. wollte keine Kirche entweihen. Bereits nach einem Jahr entstand die grosse Moschee in der Altstadt von Rhodos, die seinen Namen trägt: Süleyman-Pascha-Moschee.
Die Moschee wird von einer Zentralkuppel und weitere Kuppeln über der Vorhalle mit Arkaden überdacht. Ich stehe davor und berühre die Aussenmauer. Das quadratische Gebäude selbst trägt Rosa. Die Farbe wirkt künstlich. Die Moschee macht den Eindruck, also würden die Rhodier sie nicht sehen. Sie gehen an ihr vorbei, ohne sie anzublicken.
Draussen vor der Tür
Der Reinigungsbrunnen im Vorgarten der Moschee mit seiner überdachten Kuppel fixiert meinen Blick. Für einen Augenblick vergesse ich, dass ich auf Rhodos bin.
Und dann bemerke ich, dass sie bloss den Anschein erweckt, die Moschee zu sein. In Wahrheit ist sie ein Neubau, der nach ihrer Zerstörung durch ein Erdbeben aus dem Jahr 19. Jh. stammt.
Das Tor der Moschee ist geschlossen, der Hof leer. Sie soll hauptsächlich als Museum dienen. Ich setze mich vor dem Eingang, will den Ort nicht verlassen. Es ist Juli, aber ich denke an den Winter, an die Flüchtenden, die nicht zu sehen sind, und bemerke, warum mir Rhodos ein Sehnsuchtsort bleibt.
Dabei ist die geschlossene Moschee ein Sinnbild der Stadt. Die Umdeutung als Museum: ein Sinnbild für die blosse Anwesenheit der spirituellen Orte, die aber ihren ursprünglichen Sinn verloren haben. Es ist nichts, wie es scheint.