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Spiritueller Reiseführer Oman: Wo Beten besser ist als Schlafen

Zwischen schroffem Gebirge und den Weiten des Meeres liegt das Sultanat Oman. Ein Land mit bewegter Geschichte, das sich seit den 1970er-Jahren rasant modernisierte und eine beeindruckende religiöse Vielfalt aufweist.

Es ist gegen halb sechs Uhr morgens, als mich der Muezzin aus dem Schlaf reisst: «Allahu akbar» – «Gott ist grösser» tönt es erst von fern. Wenige Augenblicke vergehen, ehe sich eine zweite und dritte Stimme dazu gesellen.

Bald schon überlagern sich die Gebetsrufe vierer Muezzins aus den umliegenden Minaretten zu einem sirenenartigen Heulen, welches den dämmernden Morgen durchschallt. Wer jetzt noch schläft, wird eines Besseren belehrt: «Das Gebet ist besser als Schlaf» singen sie einhellig.

Die älteste Handelsstrasse der Welt

Ich bin in der Heimat von Sindbad dem Seefahrer: in Maskat, der Hauptstadt des Sultanats Oman, das im Osten der arabischen Halbinsel, direkt am indischen Ozean liegt.

Durchgang in Maskat.
Legende: Der Regierungsdistrikt in der Hauptstadt Maskat: Das Sultanat Oman ist eine absolute Monarchie und besitzt eine Verfassung. Die vom Sultan ernannten Minister und die zwei nationalen Parlamente haben nur beratende Funktion. Olivia Röllin

Hier begann die älteste Handelsstrasse der Welt: die Weihrauchstrasse. Früher noch mit Gold aufgewogen, wird Weihrauch nun in den Souks feilgebotenen und von Omanis nicht nur verräuchert, sondern in unterschiedlicher Form zu sich genommen.

Abgesehen von Sindband ist der Oman auch Heimat von Datteln und Kardamomkaffee, schroffem Gebirge und Wüste. Und: Von diversen Religionsgemeinschaften. Hier leben Muslime, Christen, Hindus, Sikhs und Buddhisten offenbar friedlich nebeneinander.

Einwohner schreiben diese Toleranz gerne dem Ibadismus zu, einer islamischen Rechtsschule, die als äusserst liberal gegenüber anderen Religionen gilt. Schätzungsweise zwei Drittel aller Omani gehören ihr an, zählen also weder zu den Sunniten noch zu den Schiiten.

Ibadismus

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Der Ibadismus ist eine Ausrichtung des Islam, die ca. seit dem 7. Jahrhundert existiert. Über seine Entstehung und Herkunft herrscht allerdings Uneinigkeit. Zentral ist, dass jeder Muslim zum Imam gewählt werden kann, unabhängig von seiner religiösen Herkunft oder Stammesherkunft.

In Oman ist die staatliche und religiöse Macht im Sultan vereint. Weltweit machen die Ibaditen lediglich 2 Prozent aller Muslime und Musliminnen aus.

Diese interreligiöse Toleranz ist auch historisch bedingt: Schon seit dem 16. Jahrhundert bestehen zwischen dem Oman und dem indischen Subkontinent Handelsbeziehungen, die dazu führten, dass sich eine beachtliche indische und bengalische Diaspora entwickelte.

Hindutempel in Maskat

Gut 200’000 Hindus sollen in Oman leben. Das zeigt sich am kulinarischen Angebot und an den beiden Gotteshäusern des Landes. Im Süden Maskats besuche ich den Shiva Tempel. Er beheimatet die älteste Hindu-Community der Golfregion.

Olivia Röllin sitzt in einem Haus.
Legende: Wo man auch hinkam, der Empfang war stets äusserst freundlich. Die gelbe Mischung aus zermahlenen Gewürzen auf der Stirn wurde zur Kühlung des Kopfes angeboten. Olivia Röllin

Gebetsglocken läuten, Hindus allen Alters umkreisen die Altäre, Opfer werden dargebracht – man wähnt sich in Indien. Allerdings nur innerhalb der Tempelmauern, denn trotz aller Toleranz sind Prozessionen ausserhalb des Tempels verboten.

Sultan Qabus: liberaler Muslim und Reformer

Auf die Frage, woher diese religiöse Toleranz komme, wird wiederholt auf Sultan Qabus verwiesen. Seit den 1970er-Jahren war er als absolutistischer Herrscher an der Macht und trug massgeblich zur Modernisierung des Landes bei, finanzierte sogar den Bau anderer religiöser Stätte mit.

Vor seinem Tod 2020 wurde Qabus frenetisch verehrt und überall abgebildet. Sogar auf dem Weg zum Jebel Shams, dem höchsten Gebirge Omans, fand ich seine Pappfigur in Lebensgrösse. Ob man sich hier Segen und Schutz für die Reise abholt?

Sultan Qabus und seine Moschee

Eine der grössten Moscheen weltweit ist nach ihm benannt und thront in Maskat. 20'000 Gläubige finden darin Platz, Muslime sämtlicher Glaubensrichtungen beten hier nebeneinander.

Das Zentrum der Ibaditen

Mehr im Landesinneren, in Nizwa, liegt das Zentrum der Ibaditen. Dort lädt der Imam Ali al-Seif («Ali, das Schwert») gar in seine Moschee ein.

Wo in der Regel Andersgläubige nicht hinkommen, erläutert er mir vor der mehrhundertjährigen Mihrab, der nach Mekka ausgerichteten Gebetsnische, den Ibadismus und hat Fragen zur christlichen Trinität.

Ein Imam zeigt eine Mauer
Legende: Nizwa war immer ein religiöses Zentrum Omans. Imam Ali lud uns in seine Moschee ein. Olivia Röllin

Das Gespräch scheitert irgendwann nicht nur an Sprachbarrieren. Für ihn ist klar: Gott wird am Ende über uns alle richten. Bis dahin aber sollen sich die Menschen jeden Glaubensrespektvoll und nachsichtig begegnen.

Die SRF-Sommerserie «Spiritueller Reiseführer»

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Religiöse Orte können ohrenbetäubend laut sein oder so still, dass man den eigenen Atem hört. Um sich spirituell bereichern zu lassen, reisen manche um die halbe Welt, anderen genügt ein Spaziergang vor der Haustür. Oft findet man die besten Geschichten dort, wo man nicht danach gesucht hat.

Der spirituelle Reiseführer von SRF Kultur regt dazu an, sich auf die Reise zu machen.

SRF 1, Sternstunde Religion, 21.08.2022, 10:00 Uhr

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