Lucia Schulz wird 1894 in Prag geboren. Mit 21 erwacht das Interesse für die Fotografie. Sie schreibt in ihr Tagebuch: «Ich bin nicht schöpferisch, nicht produktiv aus mir selbst, wohl aber von sehr feiner Aufnahmefähigkeit, rezeptiv.» Sie bricht aus dem bürgerlichen Elternhaus aus und geht nach Berlin. Dort taucht sie in die Kunstszene ein und veröffentlicht Gedichte unter dem männlichen Pseudonym Ulrich Steffen.
In Berlin lernt Lucia den ungarischen Künstler László Moholy-Nagy kennen, der damals noch vollkommen unbekannt ist. Sie heiraten. Beide experimentieren mit Fotografie. Besonders die Fotografie ohne Kamera, Fotogramm genannt, fasziniert das Paar. Ein Fotogramm mit ihren beiden Profilen begründet Lászlós Ruhm. Lucias Anteil daran ist erst heute bekannt.
An den Rand gedrängt
1923 wird László Moholy-Nagy als Professor ans Bauhaus in Dessau berufen. Lucia folgt ihm eher widerwillig: «Dessau ist wie ein Ort, in dem man, auf der Reise, den Anschluss versäumt hat und auf den nächsten Zug warten muss. Man wäre in dieser Stadt auch nie ausgestiegen.» Sie hat inzwischen eine Lehre als Fotografin gemacht, spricht vier Sprachen und hat Philosophie, Pädagogik und Anglistik studiert. Als Lektorin hatte sie lange den Lebensunterhalt für beide bestritten. In Dessau ist sie die Begleitung ihres Mannes.
-
Bild 1 von 5. Neue Sachlichkeit durch ihre Linse: Lucia Moholy fotografiert nicht nur Architektur, sondern auch Stillleben in einer Metallwerkstatt in Dessau. Bildquelle: ProLitteris, Zürich/Lucia Moholy.
-
Bild 2 von 5. Klare Linien faszinieren sie. Auch das Bauhaus-Dach in Dessau ist für Moholy eine Inspirationsquelle. Bildquelle: ProLitteris, Zürich/Lucia Moholy.
-
Bild 3 von 5. Moholys Aufnahmen in Dessau aus den 1920er-Jahren prägen die Bauhaus-Fotografie bis heute. Bildquelle: ProLitteris, Zürich/Lucia Moholy.
-
Bild 4 von 5. An diesem Tisch in der Meistersiedlung in Dessau haben Lucia und László Moholy-Nagy gemeinsam gegessen. Bildquelle: ProLitteris, Zürich/Lucia Moholy.
-
Bild 5 von 5. Grosse Fenster, Licht und Schatten gehören zu Moholys Lieblingsmotiven. Bildquelle: ProLitteris, Zürich/Lucia Moholy.
Zusammen leben und arbeiten die Moholys fünf Jahre lang am Bauhaus in einer «symbiotischen Arbeitsbeziehung». Walter Gropius entwirft damals die Bauhaus-Gebäude. Er ist so stolz auf seine Architektur, dass er Lucia beauftragt, jede Ecke seiner Gebäude zu fotografieren. Ihre Fotos spiegeln den Geist der Zeit: klare Linien, nichts Überflüssiges, der Form verpflichtet. Bald wird sie «offizielle Bilddokumentartistin». Bezahlt wird sie dafür nicht. Wenigstens bleiben die Negative in ihrem Besitz.
Überfällige Wertschätzung
Lucia Moholys Architektur- und Produktaufnahmen prägen unser Bild vom Bauhaus. Doch ein angemessener Platz in der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts bleibt ihr bis ins hohe Alter verwehrt. In wichtigen Büchern über die Bauhaus-Ära werden ihre Fotos zwar immer wieder abgedruckt, ihr Name aber nur am Rande erwähnt. Die Bilder bleiben anonym.
1933 flieht sie aus Deutschland, wo sie damit rechnen muss, aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verfolgt zu werden. Ein Teil ihres Archivs mit hunderten Glasplatten aus der Dessauer Bauhauszeit bleibt in Deutschland zurück. Bauhausdirektor Walter Gropius, inzwischen Architekturprofessor in Harvard, verschweigt ihr, dass er im Besitz der Negative ist. Er verkauft nach dem Krieg Abzüge davon weiter, natürlich ohne ihren Namen zu nennen.
Ab 1959 lebt Lucia Moholy in der Schweiz. Es gelingt ihr in einem dreijährigen Rechtsstreit mit Gropius ihre Glasplatten zurückzufordern. Die Transportkosten muss Lucia selbst zahlen. 330 Glasplatten fehlen.
Die letzten Jahre ihres Lebens wird sie als Grande Dame der Bauhaus-Fotografie verehrt. Einen Titel, den sie bescheiden, selbst immer wieder kritisch hinterfragt: «Ich habe ein paar Jahre meines Lebens da, und ein paar Jahre meines Lebens dort fotografiert, aber im Grunde bin ich ja gar kein Fotograf. Ich bin ein Schreiber.»