Coming-of-Age - Pickel, Probleme, Pubertät: Warum wir Romane über Teenies lieben
Wolfgang Herrndorf, Benedict Wells oder jetzt Elena Fischer – sie alle haben mit ihren Romanen über Teenager Grosserfolge gelandet. Auch bei Erwachsenen. Wie kommt das?
Romane über das Erwachsenwerden stürmen regelmässig die Bestsellerlisten. Aktuelles Beispiel: «Paradise Garden» von Elena Fischer.
Die Deutsche erhielt für ihren ebenso herzzerreissenden wie herzerwärmenden Roman über die Selbstfindung einer 14-Jährigen begeisterte Kritiken. Und sie schaffte es gar auf die Longlist des Deutschen Buchpreises.
Sie fühle sich aufgrund dieses Erfolgs bisweilen noch immer «wie in einem Schwebezustand», erzählt die 36-jährige Autorin lachend. Die enorme Resonanz auf ihren Roman – notabene ihr Debüt – sei nicht vorhersehbar gewesen.
Erfolgsfigur Teenager
Auf ähnlichen Zuspruch stiess vor wenigen Jahren «Hard Land» von Benedict Wells. Oder «Tick Tack» von Julia von Lucadou. Oder – schon etwas länger her – «Tschick» von Wolfgang Herrndorf.
In all diesen Erfolgsromanen geht es – wenn auch in unterschiedlichem Setting – um den Aufbruch von Jugendlichen. Um Melancholie und erste Verliebtheit, um Abschiedsschmerz, Hoffnung und die Suche nach einem Platz in der Welt.
Ganz offensichtlich treffen Coming-of-Age-Geschichten den Nerv des Lesepublikums – auch des erwachsenen, wie die hohen Verkaufszahlen nahelegen. «Die Pubertät», sagt Elena Fischer, «ist eben eine hochexplosive Zeit und bietet deshalb an sich spannende Stoffe.»
Universelle Fragen
Dass Erwachsene gerne Romane über Jugendliche lesen, sei kein Widerspruch, findet Benedict Wells. Als Jugendlicher sehne man sich oft danach, «nicht mehr als Jugendlicher zu gelten». Und Romane über Pubertierende würden in dieser Lebensphase deshalb nicht unbedingt als besonders attraktiv gelten.
Aber mit dem Älterwerden «sehnt man sich oft nach der Jugend und den damaligen Gefühlen». Das sei auch seine eigene Erfahrung gewesen, sagt der 39-Jährige.
Coming-of-Age-Romane: 5 Lesetipps
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«Paradise Garden» von Elena Fischer:
In ihrem Debütroman schildert Elena Fischer die jugendliche Romanheldin Billie, die mit ihrer Mutter in prekären Verhältnissen in einer Hochhaussiedlung lebt. Nach dem tragischen Tod der Mutter macht sich Billie auf die Suche nach dem bislang tabuisierten Vater. Der Roman ist durchdrungen von einer zarten Melancholie, unbekümmertem Witz und voller Poesie. (
Diogenes 2023)
«Hard Land» von Benedict Wells:
Im Zentrum von «Hard Land» steht der 15-jährige Sam, der in den 1980er Jahren in einem Nest im US-amerikanischen Bundesstaat Missouri lebt. Das Buch erzählt vom «schönsten und schrecklichsten» Sommer seines Lebens. Schrecklich, weil die Mutter stirbt. Schön, weil sich Sam über beide Ohren verliebt. Der Roman schildert mitreissend, wie sich Sam in dieser emotionalen Gemengelage zunächst verliert – und sich schliesslich doch behauptet.
(Diogenes 2021
)
«Tick Tack» von Julia von Lucadou:
Die 15-jährige Mette, blitzgescheit und aufmüpfige Schülerin eines Elitegymnasiums, kommt beim Tik-Token auf Abwege. Sie gerät in die Abhängigkeit eines Hackers, der Verschwörungstheorien anhängt. Der Roman zeigt auf, wie sich Jugendliche heute nicht nur im Spannungsfeld von Elternhaus, Schule und Peergroup zurechtfinden müssen, sondern auch durch die digitale Parallelwelt herausgefordert sind. Das Buch ist im Netz-Jargon gehalten, inklusive Anglizismen und Memes. Es überzeugt durch sein hohes Tempo und die packende Story, die in einem fulminanten Finale mündet. (Hanser Berlin 2022)
«Tschick» von Wolfgang Herrndorf:
Der Roman des 2013 verstorbenen deutschen Autors hat mittlerweile Kultstatus: Die Kritik lobte das Buch in den Himmel – es gilt heute als moderner Klassiker. Im Zentrum stehen zwei Knaben, die während der Sommerferien ein Auto knacken und sich auf einen Roadtrip durch die ostdeutsche Provinz machen – und dabei nach Liebe, Freundschaft und sich selbst suchen. Der Roman ist überaus eingängig erzählt. Herrndorfs Sprache orientiert sich zwar an einer schnoddrigen Jugendsprache, kopiert diese jedoch nicht, sondern verwandelt sie in eine Kunstsprache, die davor gefeit ist, nach kurzer Zeit zu veralten.
(Rowohlt Berlin 2010)
«2001» von Angela Lehner:
Die Heldin in diesem Roman ist eine 15-jährige Rapperin. Sie lebt in der Provinz. Ausser Alkohol, Sex und Hip-Hop gibt es wenig, um der Enge zu entkommen. Hinzu kommt ein von einem Lehrer erdachtes Rollenspiel, das die Hauptfigur und ihre Mitschüler mit den Umbrüchen konfrontiert, welche die Welt im Jahr 2001 erschüttern, in dem der Roman spielt. «2001» ist eindringlich und bedrückend – und doch voller Hoffnung. (Hanser Berlin 2021)
Für Claudia Sackl, Literaturwissenschafterin an der Universität Zürich kommt hinzu, dass «Coming-of-Age-Romane an Teenagerfiguren die universelle Frage nach dem ‹Wer bin ich?› stellen». Diese Grundfrage beschäftige uns nicht nur in der Jugend, «sondern während unseres ganzen Lebens.» Und dies mache Pubertätsgeschichten «bis ins hohe Alter attraktiv».
Der Blick zurück zeigt: Schon Goethes «Werther» und «Wilhelm Meister», Gottfried Kellers «Der grüne Heinrich» oder Adalbert Stifters «Nachsommer» begeisterten zu ihrer Zeit das Publikum. Diese Werke gelten heute als Klassiker des Genres, das – etwas verstaubt – auch als Bildungs- oder Entwicklungsromane bezeichnet wird.
Romane der Krise
Die Literaturwissenschafterin Claudia Sackl findet dennoch den aktuellen Boom der Coming-of-Age-Geschichten bemerkenswert: «Wir leben in einer Zeit, in der wir mit vielen Krisen konfrontiert sind. Pubertätsromane verhandeln das Verhalten von Menschen in Umbrüchen.» Will heissen: Aus den Werken von Fischer, Wells und Co. lassen sich Bezüge zu aktuellen Fragestellungen herstellen, die uns als Gesellschaft generell umtreiben.
Hinzu kommt laut Claudia Sackl ein gewisser Wohlfühlfaktor, der diesen Romanen fast immer innewohnt: Da es um Jugendliche geht, die das Leben noch vor sich haben, besteht in diesen Büchern zumindest potenziell Hoffnung, dass sie die an sie gestellten Herausforderungen meistern werden. Und dieser positive Blick in die Zukunft tut Leserinnen und Lesern gerade heute offenbar einfach gut.
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