Was verbirgt sich hinter dieser schillernden Welt, die sich in den vergangenen Jahren von ihrem verstaubten Image befreit hat? Ich wollte es wissen und bin für zwei Tage ins Schlager-Universum von Beatrice Egli und ihren Gästen eingetaucht.
Genauer in die Vorbereitungen der «Beatrice Egli Show» im Studio Berlin-Adlershof und dann natürlich in die zweistündige Show selbst, umringt von Hunderten Fans, die jede Zeile der Songs verzückt und auswendig mitsingen können. Unser Fazit nach diesen zwei Tagen: Schlager ist herrlich ansteckend, tut manchmal weh in den Ohren, ist aber vermutlich unschädlich.
Der Schlager hat in den letzten Jahren ein unglaubliches Revival erlebt: Die eher altmodischen «Musikantenstadl»-Zeiten sind passé. Heute gehören gigantische Bühnenbilder und professionellste Technik zum Alltag. Und mittendrin: die grossen Schlagerstars an Live-Events, oft im TV übertragen – und millionenfach geschaut.
Helene Fischer, Andrea Berg, Andreas Gabalier, Michelle oder die Schweizer Garde mit Beatrice Egli, Francine Jordi, Leonard oder Vincent Gross: Sie sind nur einige der grossen Sterne am deutschsprachigen Schlagerhimmel. Und sie begeistern die Massen.
«Wir sind egli-fiziert»
Viele Schlagerfans sind aktiv in Fanklubs und Online-Communitys. Sie tauschen sich über ihre Lieblingskünstlerinnen und Künstler aus, teilen Konzertfotos und -videos und nehmen an Votings und Verlosungen teil. So auch drei Schweizerinnen, die ich am Eingang der Show-Halle in Berlin treffe. «Wir sind egli-fiziert» prangt auf den T-Shirts der Hardcore-Egli-Fans.
Einige der Begeisterten haben schon über 70 Besuche von Beatrice Egli-Auftritten auf ihrem Konto. Sie scheuen weder Flugreisen noch Hotelübernachtungen: Eine kostspielige, aber erfüllende Leidenschaft, versichern sie uns. Das Abtauchen in diese schöne Welt wird schon beinahe zur Sucht. Dass sie hin und wieder für ihre Schlagerliebe belächelt werden, ist ihnen egal.
Für Schlager müsse man sich weder schämen noch verstecken. Auch Schlagerstar und Moderatorin Beatrice Egli entgeht diese Liebe nicht: «Mich macht es einfach glücklich und ich merke, dass es die Leute auch glücklich macht. Wenn ich in die Gesichter schaue, strahlen alle, alle sind glücklich, das ist für mich das Schönste.»
Alles heil in der Schlagerwelt?
Während die Fans langsam in die Show-Halle strömen, werden Beatrice Egli und ihre Gäste backstage aufgehübscht und mit letzten Anweisungen eingedeckt. Unter ihnen ist auch der Schweizer Sänger Baschi.
Warum ist er in Eglis Schlagerwelt? Warum nicht, sagt er: «Je mehr Kriege, je mehr Unruhe auf der Welt und in der Gesellschaft, desto mehr sehnen sich die Menschen nach einem sicheren Hafen. Im lieblichen Schlager finden sie einen emotionalen Ausgleich zum schweren Alltag.»
Doch wie heil ist sie wirklich, die Schlagerwelt? Die deutsche Schlagersängerin Michelle soll ihrer eigenen Tochter den Freund ausgespannt haben. Dann kam sie mit ihrem 25 Jahre jüngeren Schlagerkollegen Eric Philippi zusammen. Diese Liebe sorgte für unzählige Hasskommentare. Die beiden unglücklich Glücklichen konterten musikalisch mit dem Lied «9000 Tage» .
Als die wohl erfolgreichste Schlager-Queen, Helene Fischer, 2018 ihren Lebenspartner, den Sänger und Moderator Florian Silbereisen für den Luftakrobaten Thomas Seitel verliess, ging ein enttäuschtes Raunen durch die Schlagerwelt. Die Fans verziehen ihr und stärkten ihn, indem sie über einen vermeintlichen Flirt mit unserer Beatrice Egli spekulierten – und spekulieren.
Überhaupt gehören Teilhabe an Freud und Leid der Schlagerstars offenbar ganz stark zur Welt der Fans: Egal ob neue Liebe, Hochzeit, Scheidung oder Trennungsschmerz: «Was meinem Star geschieht und wovon er singt, werde auch ich überleben», so die Fans. Schlagerstars fungieren also auch als starke Identifikationsfiguren, ihre Musik als Lebenshilfe, Trost, als Empowerment, als Booster für die eigene Resilienz.
Schlager in der Kritik
Heile Welt? Dies sehen und sahen längst nicht alle so und kritische Stimmen zum «Herzschmerz»-Fach können mitunter hart ausfallen. Schlagermusik wird gern als kommerzielle, massentaugliche Musik ohne künstlerischen Tiefgang beschrieben.
Der Schlager ist wie ein Parasit, der sich immer wieder auf neue aktuelle Stile draufsetzt.
Der Schlager sei ästhetisch minderwertig und gefährlich, weil er in einer entfremdeten Welt als Pseudobefriedigung von Sehnsüchten einer entpolitisierten Masse diene. So beschreibt es Johannes Müske vom Zentrum für Populäre Kultur und Musik an der deutschen Universität Freiburg in seinem Buch «Schlager erforschen».
Eine Musik, die höchstens im Modus der «Guilty Pleasures» konsumierbar sei – das heisst: ein Genuss, begleitet von schlechtem Gewissen. Und die Gesichter dazu, die Schlagerstars, agierten als fremdbestimmte Objekte einer kühl kalkulierenden Kitsch-Maschine.
Der Schlager-Experte und Musikwissenschaftler Martin Lücke definiert Schlager zunächst einmal ein kommerziell erfolgreiches Stimmungs- und Unterhaltungslied, welches singbar und melodisch sein müsse. Und dann aber auch als Nutzniesser: «Der Schlager ist wie ein Parasit, der sich immer wieder auf neue aktuelle Stile draufsetzt und diese sozusagen aus- oder ansaugt und daraus etwas Neues kreiert.»
Schlager im Wandel der Zeit
Die 1960er-Jahre waren die Blütezeit des Schlagers. Stars wie Roy Black, Rex Gildo und Heino dominierten die Charts. In den 1970ern wurde der Schlager dann durch die Einflüsse von Pop und Rock weiterentwickelt, was zu einer neuen Vielfalt innerhalb des Genres führte.
Schlagergrössen wie Marianne Rosenberg mit «Marleen» oder Bernhard Brink mit «Liebe auf Zeit» gingen so anpassungsfähig mit der Zeit, dass sie bis heute auf den Showbühnen gern gesehen sind.
Ein knappes Jahrzehnt später, inmitten der frischen Neuen Deutschen Welle und internationaler englischsprachiger Hit-Songs, geriet der Schlager in Bedrängnis und musste sich zwangsmässig weiterentwickeln: (Umwelt-)politische Themen wurden nicht mehr ausgeklammert, stilistisch öffnete sich der Schlager und die Grenzen zu anderen Musikrichtungen wurden immer fliessender.
Ab den 2000ern zeigten sich neuere Entwicklungen im Stil von Ballermann-Partymusik und extravaganten Bühnenshows, wie denen von Helene Fischer. Die deutsche Schlager-Überfliegerin schaffte es 2018 im Ranking des US-Magazins «Forbes» als einzige Europäerin unter die Top Ten der bestverdienenden Musikerinnen weltweit. Kein Wunder, denn Helene Fischer singt auch mal vor unglaublichen 130'000 Fans.
Mal divers, mal konservativ
Auch die queere Community und der Schlager haben in den vergangenen Jahren eine immer engere Verbindung entwickelt. Schlagerkünstlerinnen und -künstler bekennen sich offen zu ihrer sexuellen Orientierung. Beispiele sind Kerstin Ott, sowie Patrick Lindner und Ross Antony, die offen homosexuell leben. Schlagerlieder thematisieren mittlerweile auch queere Themen und Rollenbilder.
In der Dirndl- und Lederhosen-Welt von Andreas Gabalier tauchten hingegen Misstöne auf: Der Volks-Rock’n’Roller, wie er sich selbst bezeichnet, würde erzkonservative, nationalistische, rechtspopulistische Ansichten vertreten, hiess es in den Medien, und ein traditionalistisches, rückwärtsgewandtes Familienbild.
Letztendlich ist Schlager ein Spiegelbild der Gesellschaft.
Gabalier wehrte sich: «Das waren schon harte Anschuldigungen, die ich immer von mir gewiesen habe.» Um sein Image bemüht, tauschte Gabalier kurzfristig das Älpler-Outfit mit einem Hoodie und feierte in seinem neuen Song «Liebeleben» plötzlich gleichgeschlechtliche Liebe: Der Schlager zeigt sich – einmal mehr – äusserst anpassungsfähig.
Schlager-Experte Martin Lücke ordnet dies so ein: «Letztendlich ist Schlager ein Spiegelbild der Gesellschaft und wenn sich eine Gesellschaft nach rechts entwickelt und konservativer wird, sind das natürlich auch Fans, die angesprochen werden wollen.»
Das grosse Finale
Zurück in die Show-Halle in Berlin: Es geht los, das grosse Schlagerfeuerwerk der «Beatrice Egli Show». Die Fans begrüssen die Gastgeberin mit frenetischem Applaus, Leuchtarmbändern und strahlenden Augen. Auf der Bühne dann: ein fast dreistündiges Fest der guten Laune.
Und mittendrin unsere Beatrice Egli, die – so scheint es – jede und jeden am liebsten persönlich umarmen würde, wären da nicht diese mörderischen High Heels. Drei Stunden fernab des Alltags, abtauchen in Kitsch, heile Welt und ganz viel Liebe. Ja, ganz ehrlich: warum eigentlich nicht? Ich jedenfalls habe ganz heimlich mitgeschunkelt.