«Chiaroscuro»: Diese Bezeichnung für starke Hell-Dunkel-Kontraste in der Renaissance-Malerei wäre wohl auch das richtige Adjektiv für Sofia Gubaidulinas Musik. Denn die ist immer beides: dunkel, schwer, verschattet – um dann wieder mit Macht in ein gleissendes Licht einzutauchen.
Und das mit einer solchen Sogkraft, die sogar einmal Luigi Nono, den kompromisslosen Erneuerer der neuen Musik, bewundernd sagen liess: «Diese Musik blüht, explodiert und trifft.»
Nicht massentauglich
Wie ihre Musik war auch Sofia Gubaidulina immer kompromisslos. Durchsichtig vor Hunger und Erschöpfung sei sie gewesen, sagte ein Freund über sie, damals in der Sowjetunion. Sie hatte keine Aufträge, keine Aufführungen, keine Zukunft als Künstlerin. Die sowjetische Führung warf ihr vor, nicht einfach und volksnah genug zu schreiben. Nicht genug «sozialistisch realistisch».
Aber das wollte Gubaidulina nicht. Sie konnte keine pathetischen Hymnen komponieren, keine volkstauglichen Lieder. Das führte zu immer wieder neuen Verboten, Auflagen und vernichtenden Kritiken.
Ohne Öffentlichkeit, mit Gott
Trotzdem komponierte Sofia Gubaidulina unermüdlich weiter – umsonst und für die Schublade. Niemand bekam ihre Musik zu hören. Mit Filmmusik hielt sie sich über Wasser. «Es war wirklich sehr schwierig, in dieser Situation zu überleben», erinnerte sich die Komponistin, «manchmal bin ich fast verzweifelt.»
Doch zwei Dinge gaben ihr Kraft. Da eine war der Rat ihres Vorbildes und alten Komponistenkollegen Dmitri Schostakowitsch: «Sie dürfen keine Angst haben, Sie selber zu sein.» Das andere war ihre Religiosität, die sich gerade wegen der staatlichen Repression erheblich verstärkte.
Mit der Zeit vewandelte sie sich von einem traditionellen Katholizismus bis hin zu einer starken Spiritualität jenseits der Religionen.
Do swidanija, Russland!
Aufgegeben hat Gubaidulina nie. Als Michail Gorbatschow Mitte der 1980er-Jahren mit «Glasnost» und «Perestroika» versuchte, den Sowjet-Staat in eine positive Zukunft zu führen, schien es Hoffnung zu geben.
Doch das sollte sich als Trugschluss erweisen: Anfang der 1990er-Jahre war es vorbei mit der Offenheit, die wirtschaftliche Not wuchs, die Repressalien nahmen wieder zu. Nun war auch für sie das Mass voll: Sofia Gubaidulina beschloss, ihr geliebtes Russland zu verlassen.
Glück im Exil
In der Nähe von Hamburg fand die Komponistin eine zweite Heimat und komponierte dort unermüdlich weiter an ihren Klängen, die getränkt sind von einer tiefen Spiritualität. Das sei sowieso das Schönste, sagte sie, immer wieder anfangen zu können. «Das ist der glücklichste Moment meines Lebens. Voller Inspiration und voller Begeisterung.»
Bis zuletzt entwarf Gubaidulina ihre Klänge, die zwar leise daherkommen, aber gleichzeitig ungeahnt intensiv, drängend, ungeschützt sind. Eine sakrale Musik, die trotz der christlichen Titel ein Publikum erreicht, das sich berühren lassen will.