Jaron Lanier ist beliebt in den deutschsprachigen Feuilletons. Der dreadlockige Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels von 2014 hat vor 25 Jahren die ersten Virtual-Reality-Brillen entwickelt, aber schon lange ist er im Hauptberuf «Internet-Kritiker».
Bezahlt vom Softwarekonzern Microsoft, schiesst er giftige Pfeile in Richtung der Tech-Konzerne im Silicon Valley.
In seinem neuen Buch, «Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst», nimmt Lanier vor allem Google und Facebook ins Visier.
Jene Internetfirmen, die unter anderem davon leben, dass sie detaillierte Profile ihrer Nutzer anlegen, um diese dann zur Platzierung massgeschneiderter Werbeanzeigen zu nutzen.
Immer mehr Kritiker
Lanier reiht sich damit ein in die Reihe der Kritiker sozialer Netzwerke, die auch in den USA seit einigen Monaten ihre Stimme erheben.
Erst die Beeinflussung der US-Wahlen durch russische Hacker, dann im Frühjahr dieses Jahres der «Datenskandal» um Cambridge Analytica – die Kritik, insbesondere an Facebook, ist nun auch im Silicon Valley angekommen, wo doch bisher immer ein fröhlicher Optimismus herrschte, der wenig Kritik zuliess.
Alte Kritik im neuen Gewand
All diesen Neu-Kritikern kann Jaron Lanier zurufen: Seht ihr, ich hab’s doch immer schon gesagt!
Schon vor 20 Jahren kritisierte er die Dienste, die Nachrichten für uns aufarbeiten, und «intelligente» Agenten, die angeblich unsere Informationsbedürfnisse kennen. Nichts anderes sind die Newsfeed der sozialen Netzwerke.
Wir werden alle manipuliert
Jeder Nutzer dieser Netzwerke, sagt Lanier, werde ständig manipuliert durch die massgeschneiderten Mitteilungen und Anzeigen – nicht nur durch gewöhnliche Internet-Händler, sondern eben auch durch dunklere Kräfte.
Zudem brächten Facebook und Co. unsere schlechteren Charaktereigenschaften hervor, machten uns aggressiv, selbstbezogen und dünnhäutig.
Filterblasen und Echokammern
Die Individualisierung der Nachrichtenfeeds führe überdem zu einem Verlust an Gemeinsamkeit, der politische Diskussionen praktisch unmöglich macht.
Es ist schon viel über Filterblasen und Echokammern geschrieben worden, also die Tendenz, dass sich die Menschen nur noch Medien und Freunde suchen, die ihre eigene Meinung teilen.
Lanier geht weiter: Die Menschen lebten bald nicht mehr nur in unterschiedlichen Meinungsmilieus, sondern in unterschiedlichen Realitäten.
Wenn ich nicht sehe, was der andere sieht, kann ich auch nicht nachvollziehen, wie er zu seiner Meinung gekommen ist. Der andere denkt nicht nur anders als ich – er muss komplett verrückt sein.
Intelligente Kritik
Laniers Buch ist eine ätzende, intelligente und schonungslose Polemik gegen die Social-Media-Welt. Sie kommt von aussen – Lanier selbst hat weder einen Facebook- noch einen Twitter-Account –, und natürlich hat sie auch etwas von der verlorenen Liebe des Netzpioniers, der den guten alten Zeiten im Internet nachtrauert.
«Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als wir darauf vertrauten, dass das Internet eine transparente Gesellschat hervorbringen würde», schreibt Lanier. «Tatsächlich ist inzwischen jedoch das Gegenteil der Fall.»
Lesenswert sind seine Argumente allemal, auch wenn der Leser sich danach nicht entschliesst, alle Drähte zu den sozialen Netzen zu kappen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 5.6.2018, 7.20 Uhr