Die Pandemie ist zwar etwas abgeebbt. In der «Abstimmungsarena» liess das Covid-19-Gesetz die Emotionen aber weiter hochgehen. Im September 2020 überführte das Parlament das Notrecht des Bundesrats in ein ordentliches Gesetz, seither wurde es mehrmals geändert. Einen Teil der Bestimmungen hat das Parlament bis Mitte Juni 2024 verlängert. Dagegen ergriffen zwei Organisationen das Referendum.
«Das Covid-Gesetz hat unsere Gesellschaft gespalten wie nie zuvor», erklärte Nicolas A. Rimoldi, Präsident von «Mass-Voll» und Co-Präsident des Referendumskomitees, den Entscheid. Die Zertifikatspflicht hätte die Menschen unter massiven Druck gesetzt und ihr Recht, frei über den eigenen Körper entscheiden zu können, verletzt. Menschen, die sich nicht impfen liessen, seien aus der Gesellschaft ausgeschlossen worden. Diese Spaltung wolle man mit einem Nein zum Covid-Gesetz nun endlich überwinden.
Verantwortlich für all die Schwierigkeiten sei nicht das Covid-19-Gesetz, sondern die Pandemie, widersprach ihm SP-Ständerat Daniel Jositsch. Vor drei Jahren sei über deren Verlauf wenig bekannt gewesen. Der Bund habe deshalb richtig gehandelt: «Die Schutzmassnahmen haben Leben gerettet und es der Bevölkerung erlaubt, ihren Alltag wieder aufzunehmen.»
Auch beim heutigen Wissensstand sei das Coronavirus unberechenbar, so Jositsch. Dass es im Inland erneut eine Zertifikationspflicht geben könnte, sei aber unwahrscheinlich: «Es geht darum, die Reisefreiheit zu gewährleisten.»
Die Pandemie ist vorbei, das Gesetz ist überflüssig.
Dazu nütze das Covid-Zertifikat nichts, hielt Roland Bühlmann, Co-Präsident des Referendumskomitees und Präsident von «Freunde der Verfassung», dagegen: «Jedes Land kann selbst entscheiden, ob es das Schweizer Zertifikat akzeptiert.» Auch vor der Übertragung des Virus schütze das Zertifikat nicht. Die Befürworterinnen und Befürworter des Covid-19-Gesetzes betrieben «Angstmacherei»: «Die Pandemie ist vorbei, das Gesetz ist überflüssig.»
Anders sieht das FDP-Ständerat Matthias Michel, der von einem «Freiheitsgesetz» sprach: Es sei unter anderem dazu da, dass Grenzgänger weiterhin in die Schweiz einreisen können, sollte es bei einer Verschärfung der Situation Einschränkungen an den Grenzen geben.
Fitnesscenter-Inhaber Claude Ammann hingegen ist von der bisherigen Corona-Politik des Bundes enttäuscht: «Viele Betriebe haben eigenständig in Sicherheitsmassnahmen investiert, um Schliessungen zu verhindern, wurden aber von der Politik nicht gehört.»
Die 200'000 vulnerable Personen in unserem Land müssen wir als Gesellschaft schützen.
Der Blick müsse auf die gesamte Gesellschaft gerichtet werden, erwiderte Tina Deplazes, Vizepräsidentin Die Junge Mitte. «Es gibt 200'000 vulnerable Personen in unserem Land. Diese müssen wir als Gesellschaft schützen.» Das Covid-Gesetz könnte etwa Arbeitgeber verpflichten, den Schutz gefährdeter Personen zu gewährleisten, indem sie diesen erlauben, von zu Hause aus zu arbeiten. Das könnte auch die Spitäler weiter entlasten, so Deplazes.
Statt Gesetze auf Vorrat zu schaffen, sollte man das Gesundheitswesen ganzheitlicher angehen, monierte SVP-Nationalrat Lukas Reimann. «Der Schwerpunkt muss auf der Medikamentenversorgung derjenigen Personen liegen, die tagtäglich darauf angewiesen sind.»
Gerade dafür sei das Covid-19-Gesetz wesentlich, argumentierte GLP-Nationalrat Martin Bäumle. Es schaffe die Grundlage dafür, dass vulnerablen Personen Medikamente aus dem Ausland beziehen können, die in der Schweiz noch nicht zugelassen sind.
Die Stimmbevölkerung wird am 18. Juni über die Verlängerung des Covid-19-Gesetzes entscheiden. Bei einem Nein zur Vorlage würden die Bestimmungen bereits im Dezember 2023 ausser Kraft treten, bei einem Ja wie vorgesehen im Juni 2024.