Der Gesundheitsökonom der ZHAW, Tilman Slembeck, anerkennt zwar, dass die Arbeitsbedingungen von Pflegefachleuten verbessert werden müssen, die Vorgabe von Arbeitsbedingungen gehören aber seiner Meinung nach nicht in die Verfassung. «Ich bezweifle, ob man das auf dieser Ebene lösen sollte», so Slembeck. Die Spitäler und andere Pflegeinstitutionen müssten sich besser um die Situation der Pflegefachleute kümmern, nicht der Staat.
Die Initiantinnen sagen, das versuche man schon lange. Nur hören wollte bisher offenbar niemand. Im Gesundheitsmarkt spielt Angebot und Nachfrage nach Fachkräften nicht wie in anderen Märkten. Der Grund liegt wohl darin, dass das Gesundheitswesen ein halbstaatliches Gebilde ist. Patientinnen und Patienten können nicht alle auswählen, wo sie hinwollen.
Und die Pflege ist aus ökonomischer Sicht eine dehnbare Dienstleistung. Ein Gespräch zwischen Patientin und Pfleger kann man nicht messen. Und Fehler von Pflegenden dringen kaum an die Öffentlichkeit. Zudem, so sagt Katharina Fierz, Leiterin des Instituts Pflege an der ZHAW, sei die Berufs-Ethik der Pflegefachleute hoch. Sie würden Patienten nicht im Stich lassen, auch wenn der Stress noch so hoch ist.
Gegenvorschlag kommt Initiative entgegen
Zwei wichtige Anliegen der Pflegeinitiative nimmt der Gegenvorschlag auf: die Verbesserungen in der Ausbildung und die direkte Leistungsabrechnung. Die Zahlungen von rund 1 Milliarde ist zwar auf acht Jahre befristet. Sie ermöglicht aber eine Ausbildungsoffensive und bis in acht Jahren sollte laut den Befürwortern des Gegenvorschlags diese Offensive beendet sein.
Die Initiantinnen kritisieren das Zeitlimit von acht Jahren. Es brauche auch danach einen Effort in der Pflege. «Das Problem ist, dass die Studierenden Vollzeit studieren und kaum Zeit finden nebenher zu arbeiten. Wenn man nach acht Jahren wieder aufhört mit den Ausbildungsbeiträgen, dann ist man wieder auf Feld eins.»
Kein Freipass für die Pflege
Ein Problem sieht Tilman Slembeck allerdings auch beim Gegenvorschlag: Bei der direkten Leistungserbringung: Pflegende, wie etwa jene von der Spitex, sollen selber bestimmen können, welche Leistungen sie erbringen – ohne ärztliche Unterschrift. Die Krankenkassen kontrollieren die Pflegenden. «Viele Berufsgruppen möchten das natürlich. Physiotherapeuten und andere. Und wenn das so kommt, könnte es sehr teuer werden», so Slembeck. Er befürchtet eine Mengenausweitung.
«Pflegende sind schon jetzt an die Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit gebunden. Das heisst, sie müssen belegen, wieso sie welche Leistung erbringen», widerspricht ihm Katharina Fierz.
Umverteilung wäre nötig
In einem sind sich die zwei Gesundheitsfachleute einig: «Ich glaube, die Spitäler haben genug Geld. Insgesamt fliesst aber zu viel von dem Geld in die Medizin und die Apparate», so Slembeck. Und Fierz sagt dazu: «Meiner Ansicht nach ist eine Umverteilung vonnöten. Man müsste den Pflegenden einen angemessenen Anteil zugestehen.»
Ob die Initiative zu einer solchen Umverteilung führen würde, ist aber alles andere als sicher. Vieles würde von der Umsetzung abhängen. Zudem zeichnet sich das Gesundheitswesen aus durch ein ausgesprochen kompliziertes Finanzierungssystem und viele Player, die nicht bereit sind, etwas abzugeben. Wie auch immer das Stimmvolk entscheiden wird. Eines ist sicher: Fortsetzung folgt.