Trotz der Limousinen, die ein- und ausfahren, herrscht vor dem Sitz der Welthandelsorganisation (WTO) keine Festtagsstimmung. Obwohl die Organisation gerade ihren 30. Geburtstag feiert.
Die Medien werden auf Abstand gehalten, die gegenwärtige WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala ist kaum zu sehen – und hat seit Wochen kein Interview mehr gegeben.
Ist die WTO gelähmt durch Donald Trumps Zollpolitik, die das globale Freihandelssystem bedroht?
«USA in Sachen Zölle durchgedreht»
Der frühere WTO-Generaldirektor und EU-Handelskommissar verneint diese Frage im Interview mit dem Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS) und betont: «Die Amerikaner machen nur 13 Prozent der weltweiten Importe aus.»
Es brauche nun schlicht die wirtschaftliche Realität, also die Macht der Finanzmärkte, um US-Präsident Trump zu einem Umdenken zu bringen.
«Sie sind in Sachen Zölle völlig durchgedreht», sagt Lamy weiter, «es gibt aber keinen Grund, warum die übrigen 87 Prozent des Welthandels von diesem Wahnsinn angesteckt werden sollten. Im Gegenteil: Vielleicht ist jetzt der Moment gekommen, um zu erkennen, dass Offenheit im Handel der richtige Weg ist – und dass Protektionismus nur Schaden anrichtet.»
Ex-WTO-Direktor Pascal Lamy im Interview mit RTS (dt. Untertitel)
Nach Ansicht Lamys versucht Donald Trump, das System zu zerstören. «Die USA sind faktisch aus der WTO ausgetreten – das ist sehr bedauerlich», betont er. «Es geht jetzt nur noch darum, sicherzustellen, dass keine Ansteckung stattfindet. Das ist heute die Rolle der WTO: zu verhindern, dass der amerikanische Unsinn das gesamte Welthandelssystem beschädigt.»
«Mafiöse Methode»
Doch kann das globale Handelssystem ohne die USA überhaupt bestehen?
«Natürlich gibt es kleine Akteure, die wenig ausrichten können, wenn Donald Trump versucht, ihnen etwas abzupressen – insbesondere Geld. Das ist schon ein bisschen eine mafiöse Methode», räumt der frühere WTO-Chef ein.
Die Schweiz versucht, die WTO wiederzubeleben (dt. Untertitel)
«Aber es gibt auch grosse Akteure wie China, die EU, Indien – die lassen sich das nicht gefallen. Wir Europäer haben durchaus Schlagkraft, auch in Form von Vergeltung. Vielleicht ist Trump auch teilweise deshalb zurückgerudert», meint der Franzose weiter.
Für Lamy bleibt das Problem des «Embargos», das die USA gegenüber China verhängt haben. «Denn Zölle von 100 Prozent – das ist de facto ein Embargo», sagt er. «Hier müssen wir darauf achten, dass die Produktion, die nicht mehr in die USA geht, vom Rest der Welt richtig abgefedert wird. Das ist eine der Aufgaben, an denen die WTO arbeitet.»
«Tun wir also nicht so, als ob das eine globale Handelskrise wäre. Es handelt sich um eine Auseinandersetzung zwischen einem Land, das 13 Prozent der Importe ausmacht, und etwa 60 anderen Ländern – keine weltweite Ansteckung. Die WTO ist da, um sicherzustellen, dass es auch nicht dazu kommt», schliesst der ehemalige Spitzenbeamte.