Ein Jude in Zürich lebensgefährlich verletzt, Festnahmen in den Kantonen Schaffhausen, Thurgau, Genf, Zürich und Waadt: Alle sind nach ersten Erkenntnissen islamistisch radikalisiert und zwischen 14 und 18 Jahren alt. Hier beantwortet Daniel Glaus, Fachredaktor Extremismus, die fünf wichtigsten Fragen der SRF-Community:
Gibt es wirklich mehr radikale Jugendliche in der Schweiz?
Der Direktor des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) sagt, die Schweiz habe «überdurchschnittlich viele Fälle radikalisierter Jugendlicher». Andere, wie der forensische Psychologe Jérome Endrass, gehen aktuell nicht davon aus, dass die Schweiz stärker von der Gefahr extremistischer Gewalt betroffen wäre im Vergleich zum umliegenden Ausland.
Ab wann gilt ein Jugendlicher als radikal?
Was eine «radikale» Einstellung ist, ist in der Schweiz nicht gesetzlich geregelt. Strafbar sind Gewaltaufrufe oder Diskriminierungen oder Unterstützung von Terrorgruppen wie dem IS. In der Forschung wird Radikalisierung als Prozess hin zu extremistischen Einstellungen beschrieben, die Demokratie und Rechtsstaat ablehnen. Radikalisierung beginnt meist viel früher als mit der Unterstützung einer Terrororganisation – oft beginnt es zunächst harmlos wirkend, vielleicht mit starkem Interesse an Nachrichten über Kriege und Gewalt. Alarmzeichen für eine Radikalisierung können die Unterteilung der Mitmenschen in gut oder böse sein, eine soziale Isolierung oder plötzliche Verhaltensänderungen.
Wie gelingt die Deradikalisierung von Jugendlichen?
Minderjährige sollen nicht mehr straffällig werden und sozial wie wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen. Die psychologischen Therapien basieren auf Erfahrungen mit jugendlichen Gewalttätern. Fachleute sehen mehrere Faktoren als zentral an: Radikalisierte aus einem negativen Umfeld herauszuholen, sie in ihrer Persönlichkeit zu stärken, dass sie eigenständig entscheiden können, mit Frust umzugehen wissen, sowie Berufs- und Lebensperspektiven entwickeln. Wichtig scheint: rasch einschreiten, notfalls zuerst mit der Polizei. Eine anschliessende Intervention muss individuell ausgestaltet werden.
Was wird in der Schweiz gemacht, um Jugendliche zu deradikalisieren?
Die psychologischen und sozialen Massnahmen werden im Rahmen eines Jugendstrafverfahrens angeordnet, das kann eine Einweisung in eine geschlossene Institution bedeuten, in der nach strengen Regeln Schulunterricht stattfindet oder eine Berufslehre startet und intensiv mit den Jugendlichen therapeutisch gearbeitet wird. Weiter gibt es polizeiliche Massnahmen und Präventionsprogramme.
Wird die Schweizer Jugend künftig noch radikaler?
Eine neue Studie zeigt, dass ein Teil negative Einstellungen gegenüber Minderheiten hat – Tendenz steigend: 9.9 Prozent der Befragten stimmen muslimfeindlichen Aussagen zu (2022: 6.5 Prozent). Ausländerfeindliche Einstellungen äussern 25.8 Prozent (2022: 15.7 Prozent). Und antisemitischen Aussagen (Judenhass) stimmen 7.6 Prozent zu (2022: 5.1 Prozent). Die Resultate einer Repräsentativumfrage wurden diese Woche von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften veröffentlicht.