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Gamen als Hauptberuf – easy Job oder ein sicherer Weg zum Burn-out?
Aus Impact vom 06.11.2024.
abspielen. Laufzeit 19 Minuten 44 Sekunden.

Tiktok, Twitch und Co. Gamen als Vollzeitjob: Ist Streamer ein realistischer Traumberuf?

Beinahe täglich ist Max Lysser acht bis zwölf Stunden live, spielt Videospiele und unterhält seine Community. Als einer der wenigen in der Schweiz verdient er sein Geld als Streamer – auf den ersten Blick ein Traumberuf, der aber auch Druck und Konkurrenzkampf mit sich bringt.

«Hallo, hallo, hallooo!», ruft Max Lysser in die Kamera, als er auf Tiktok live geht. In diesem Moment passiert ein Wechsel: «Es gibt den privaten Max und eine Erzählstimme», erklärt der Streamer, der seit acht Jahren dabei ist, jedoch erst seit wenigen Monaten hauptberuflich streamt. «Ich habe gehört, dass deine Prüfung gut lief, Schrodi! Bist du ‹ready› fürs Vorstellungsgespräch, Caro?», wendet er sich an einzelne Personen aus seiner Community.

Was ist Streaming?

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Streaming von Videospielen bedeutet, dass Streamer sich beim Gamen filmen und in Echtzeit an ein Online-Publikum übertragen. Plattformen, die dafür genutzt werden, sind zum Beispiel Twitch, Youtube und Tiktok. Im Gegensatz zu hochgeladenen Youtube-Videos ist der Inhalt ungeschnitten und direkt live.

Die meisten, die ihm regelmässig zuschauen, hat er nie getroffen, und doch kennt er Details aus ihrem Privatleben. «Für mich sind sie wie eine zweite Familie», sagt er. Während Max spielt, erzählt ihm seine Community – die er «Chat» nennt – Anekdoten aus ihrem Alltag, macht Witze und stellt Fragen. Bei ständig wechselnden 50 bis 100 Zuschauern führt das zu einer beachtlichen Anzahl an Nachrichten, sodass Max in seinen zweieinhalb bis vierstündigen Livestreams fast durchgehend am Reden ist.

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Max im Livestream
Aus Impact vom 06.11.2024.
abspielen. Laufzeit 27 Sekunden.

Auf die Frage an seine Follower, warum sie ihm regelmässig Geld in Form kleiner, virtueller Geschenke spenden, antwortet jemand: «Wie soll er sonst seine Miete bezahlen?» Eine Userin namens Heidi schreibt: «Für Netflix zahlt man ja auch.» Livestreaming als Unterhaltung also: Max scheint vor allem als Entertainer wahrgenommen zu werden – als Gamer erst an zweiter Stelle.

So gamt die Schweiz

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53 Prozent der Schweizer Bevölkerung spielen Videospiele. Frauen bevorzugen digitale Lern- sowie Brett- oder Kartenspiele – und das oft bis ins hohe Alter. Männer spielen häufiger actionreiche Konsolenspiele. Die «Hardcore-Gamer» sind überwiegend jung und männlich: Jeder dritte Teenager spielt täglich.

(Quelle: Digimonitor 2024)

Dass Max sich als Entertainer sieht, zeigt sich auch in seinen Instagram-Videos. Täglich postet er einen Beitrag, in dem er sich über Themen wundert oder aufregt, die seine Zielgruppe ansprechen – etwa über «Killer-Clowns» zu Halloween oder das Skilager. «Comedy und Gaming passen für mich zusammen. Ausserdem stossen durch diese Videos vielleicht ein paar Leute auf meine Livestreams», erklärt der 22-Jährige seine Strategie. Einmal hat er 11’000 Mal «Chuchichästli» gesagt, als er die 11’000-Follower-Marke erreicht hatte. Das war im November 2023; inzwischen sind es über 40’000.

«Tschüss zämä, bis später!», verabschiedet sich Max abends in seine Pause. Dreimal täglich geht er live: über Mittag, dann wieder ab 18:00 Uhr und zuletzt von 22:00 bis etwa 1:00 Uhr morgens – also zu Zeiten, in denen viele Menschen ihre Pause machen oder Feierabend haben.

Während einige von 22:00 bis 24:00 mit der Freundin telefonieren, bin ich am Shooter gamen.
Autor: Max Lysser Streamer

Über diese Arbeitszeiten habe er viel mit seiner Freundin sprechen müssen. «Es ist nicht so einfach. Während einige von 22:00 bis 24:00 mit der Freundin telefonieren, bin ich am Shooter gamen.» Mittlerweile hätten sie sich arrangiert. Auch seine Freunde kämen ihn meist zwischen 14 und 17 Uhr besuchen. Denn danach, wüssten sie, muss er wieder Videos aufzeichnen.

Max kann von dieser Tätigkeit leben. Er wohnt zwar noch Zuhause mit seiner Familie, seiner Mutter bezahlt er aber etwas an die Miete. Sie war überrascht, als Max ihr offenbarte, hauptberuflich auf Streaming auf Tiktok setzen zu wollen: «Es ist ein eher neuer Beruf, den man so nicht kennt.» Sie habe sich zu Beginn schon gefragt, ob man so seinen Lebensunterhalt finanzieren könne.

4500 Franken im Monat

Seit Mai 2024 setzt Max nun voll auf das Streaming. Mittlerweile verdient er durchschnittlich 4500 Franken pro Monat – sein Einkommen schwankt jedoch von Monat zu Monat. Rund 60 Prozent davon generiere er derzeit über Tiktok, vor allem durch die Spenden in Form von Geschenk-Emojis. «Weitere 20 Prozent habe ich durch Abonnements, sogenannte ‹Subs›, generiert. Der Rest waren Partnerschaften», erklärt er.

Geschenke-Funktion bei Tiktok
Legende: Während eines Livestreams können Tiktoker von ihrem Publikum virtuelle Geschenke erhalten, die einen bestimmten Geldwert haben. Eine Rose beispielsweise kostet umgerechnet um die 1.6 Rappen. TikTok

Die Spendenfunktion von Tiktok steht jedoch oft in der Kritik, unter anderem, weil die Tiktoker keine Kontrolle darüber haben, wer ihnen Geld überweist. «Ich könnte das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, wenn mir zum Beispiel ein 12-Jähriger 500 Franken überweisen würde», sagt Max, der dennoch auf diese Einnahmequelle angewiesen ist.

Einmal habe sich die Mutter eines Followers bei ihm gemeldet, deren Sohn ihre Kreditkarte entwendet hatte. Max habe ihr dann den Betrag zurücküberwiesen, den er von Tiktok ausbezahlt bekommen habe, da die Plattform einen Teil des Gesamtbetrags selbst behält.

«Früher waren Schauspieler oder Sänger Traumberufe, heute ist es Streamer», sagt Manuel Oberholzer, Mitorganisator des HeroFest in Bern, einer der grössten Game-Conventions der Schweiz, an der auch Max teilnimmt. Doch Manuel warnt davor, den Beruf zu romantisieren: «Man muss viel dafür leisten. Nur ganz wenige schaffen es, wirklich erfolgreich zu sein oder zumindest genug zu verdienen, um davon leben zu können.»

2021 zeigte ein Leak zwar, dass die grössten Streamer jährlich Millionen verdienen. Darunter auch deutsche Grössen wie «MontanaBlack» und «Knossi». Diese bilden jedoch eine kleine Ausnahme in der Szene. Eine Analyse des Wall Street Journal verdeutlicht die Einkommenskluft: Lediglich 0.06 Prozent aller Twitch-Streamer erzielen genug Einnahmen, um ihren Lebensunterhalt allein durch Streaming bestreiten zu können.

Streamer zeigt Einkommen
Legende: Der deutsch-türkische Streamer «MontanaBlack» zeigt in einem Livestream sein Einkommen. Youtube/Die Crew

Hinzu komme, dass Schweizer Streamer und Streamerinnen einen zusätzlichen Standortnachteil hätten, da die hohen Lebenshaltungskosten im Vergleich zu anderen Ländern eine grosse Herausforderung darstellen würden.

«Das lässt sich mit dem Profisport vergleichen: Preisgelder und Sponsorengelder kommen aus dem internationalen Raum», erklärt Manuel. «Diese Sponsoren sind jedoch nicht unbedingt dazu bereit, höhere Beträge zu zahlen, nur weil man in der Schweiz lebt.» Wer zudem auf Schweizerdeutsch streamt, erreicht nur ein sehr kleines Publikum und hat dadurch eine noch eingeschränktere Reichweite.

Irgendwann ist man in einem Alter, wo man diese Energie nicht mehr aufbringen kann.
Autor: Max Lysser Streamer

Auf dem HeroFest wird Max immer wieder erkannt und um Fotos gebeten. «Das ist neu für mich und noch ziemlich ungewohnt», erzählt er. Doch scheint er es zu geniessen, einige seiner Follower auch einmal ausserhalb der virtuellen Welt zu treffen.

Streamer macht Selfie mit Fan
Legende: Während dem HeroFest trifft Max einige seiner Zuschauer und Zuschauerinnen zur Abwechslung ausserhalb des Online-Streams. SRF

Obwohl er seinen Job als Streamer sichtlich liebt, ist ihm klar, dass er diese Tätigkeit nicht sein Leben lang ausüben wird. «Irgendwann ist man in einem Alter, wo man diese Energie nicht mehr aufbringen kann und jede Nachricht im Chat lesen kann.» Max hofft, später mit seiner gesammelten Erfahrung aus dem Streaming-Bereich in einer Marketing- oder Social-Media-Agentur Fuss fassen zu können.

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Hass und Drohungen
Aus Impact vom 06.11.2024.
abspielen. Laufzeit 26 Sekunden.

Obwohl Max vor allem die Vorteile seines neuen Berufs schätzt, hat er auch negative Erfahrungen gemacht. «Ich habe schon Nachrichten erhalten wie: ‹Ich weiss, wo du wohnst.›, oder: ‹Ich werde deine Adresse leaken.›» Auch Hassbotschaften gegen seine Mutter und sogar Morddrohungen seien ihm schon geschickt worden. Früher habe ihn das belastet, heute jedoch blockiere er die Absender solcher Nachrichten sofort.

Überlastung und Burnout

Der Druck, keine Trends zu verpassen, ständig neue Inhalte zu liefern und kontinuierlich live zu sein, um Zuschauerzahlen zu halten oder zu steigern, kann dazu führen, dass Streamer und Streamerinnen ausbrennen oder sich überlastet fühlen. Auf Reddit hat sich dafür bereits der Begriff «Streamer Burnout» etabliert.

Ich hatte das Gefühl, in einer Schleife festzustecken.
Autor: «Ninja» Streamer

Einige Streamer und Streamerinnen, auch bekannte Gesichter der Szene, sahen sich gezwungen, Pausen einzulegen. So erzählte Richard Tyler Blevins (Ninja), einer der bekanntesten Streamer weltweit, in der Talkshow Good Morning America: «Ich habe 11 Jahre lang gestreamt und hatte das Gefühl, in einer Schleife festzustecken, aus der ich nicht ausbrechen konnte.»

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Max spricht über Druck
Aus Impact vom 06.11.2024.
abspielen. Laufzeit 19 Sekunden.

Auch Max kann nachvollziehen, dass dieser Beruf Faktoren mit sich bringt, die zu Überlastung führen können: «Natürlich mache auch ich mir Gedanken wie: ‹Lief der Stream gut? Fanden es die Leute unterhaltsam?›» Doch die Gefahr, selbst auszubrennen, sieht er bei sich nicht. «Ich habe das Glück, meine Partnerin und meine Familie an meiner Seite zu wissen.» Mit diesem Rückhalt sei er zuversichtlich, auch schwierige Phasen gut überstehen zu können.

«SRF Impact»

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Sie sehen das Logo von SRF Impact.
Legende: SRF

So kompliziert und vielschichtig unsere Welt auch ist, wir wollen sie verstehen. Dafür gehen wir auf die Suche nach Antworten: In Reportagen tauchen wir ein in unsere Schweizer Gesellschaft und nehmen dich mit: Gib dir Deep Talk, Zweifel und Lichtblicke mit unseren Hosts Amila Redzic, Livio Carlin und Michelle Feer.

Alle Folgen «SRF Impact» sind auf Play SRF.

SRF Virus, 7.11.2024, 6:00 Uhe;kobt

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