Verwöhnt, verweichlicht und irgendwie auch dümmer: Seit Menschengedenken bricht die eine Generation den Stab über die nachfolgende. Ein Phänomen, das sich auch in diesen Tagen beobachten lässt – und zwar auf Tiktok:
Lehrkräfte beklagen sich über die Gen Alpha
Viele Nutzerinnen und Nutzer des sozialen Netzwerks schiessen sich derzeit auf die Generation Alpha ein. Zu ihr gehören alle, die jünger als 14 Jahre alt sind.
Wer online sucht, findet allerdings auch zuhauf negative Charakterisierungen der Gen X, Y und Z. Sie umfassen alle Menschen, die seit 1965 das Licht der Welt erblickt haben:
Die negativen Klischees über die verschiedenen Generationen:
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Bild 1 von 4. Gen X (1965 bis 1979). Punk, Pessimismus und Konsumkritik: Die Babyboomer als Kinder des Wirtschaftsaufschwungs blickten verächtlich auf die an sich selbst und der Welt leidende Generation X herab. Das brutale Verdikt: lebensuntauglich. Bildquelle: Getty Images/Martyn Goodacre.
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Bild 2 von 4. Gen Y (1980 bis 1994). Das Time Magazine beschrieb sie einst als die «Ich-Ich-Ich-Generation»: Sie kann sich noch dunkel an die Zeit ohne Smartphone erinnern und legt grossen Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance. Alles ist möglich, und nichts von Dauer. Bildquelle: Kathryn Scott Osler/The Denver Post via Getty Images).
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Bild 3 von 4. Gen Z (1995 bis 2009). Mit dem Handy vor der Nase spazieren sie durch die Fussgängerzone; materialistisch, fordernd, faul und verliebt in das eigene Alter Ego auf Instagram – auch einige beliebte Zuschreibungen an die Gen Z sind wenig schmeichelhaft. Bildquelle: Getty Images/Matthew Horwood.
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Bild 4 von 4. Generation Alpha (2010 bis 2025). Die «Generation Snowflake» (Generation Schneeflocke). Ihr wird unterstellt, extrem sensibel, hochverletzlich und den Stürmen des Lebens schutzlos ausgeliefert zu sein. Dazu komme eine hohe Anspruchshaltung, ohne bereit zu sein, selbst etwas zu leisten. Bildquelle: Getty Images/Kritina Lee Knief.
Die Generalabrechnung unter den Generationen ist also nicht neu – und sie findet bei Forschenden wenig Widerhall. Einer von ihnen ist François Höpflinger, emeritierter Professor für Soziologe an der Universität Zürich. Sein Spezialgebiet: die Generationenforschung.
Mit Jahrgang 1948 zählt er sich selbst zu den Babyboomern. Er wuchs in einer Zeit auf, in der nichteheliches Zusammenleben noch verboten war. «Solche Regelungen wurden später aufgelöst», sagt der Soziologe.
Klischees und Nostalgie
Gesellschaftliche Normen und die äusseren Lebensumstände unterscheiden sich also zwischen den Generationen – und sie wirken auch auf sie ein. Gewissen Jahrgängen aber quasi angeborene Eigenschaften anzudichten, hält Höpflinger für nicht haltbar. Zum Sturm, der derzeit über die Generation Alpha hereinbricht, hat er eine klare Meinung: «Das sind klassische Stereotypen über nachfolgende Generationen.»
Für den Forscher spiegeln die Zuschreibungen vor allem eines wider: den Pessimismus der Erwachsenen. «Studien zeigen, dass das Bild der Jungen umso schlechter ist, je mehr die Erwachsenenwelt Angst hat vor der Zukunft. Wenn man der Zukunft nicht traut, traut man auch der Jugend nicht.» Gleichzeitig würden ältere Menschen dazu tendieren, ihre eigene Vergangenheit zu vergolden.
Zeiten ändern dich
Auch Martin Schröder kann solchen Kategorisierungen wenig abgewinnen. Der Professor für Soziologie an der Universität des Saarlandes wartet in einem Blogpost mit einer überraschenden These auf: «Generationen gibt es nicht.» Schröder untersucht anhand riesiger Datensätze, ob das, was wir über unsere Gesellschaft glauben, auch tatsächlich stimmt.
Einer dieser Glaubenssätze: Menschen aus unterschiedlichen Generationen haben spezifische Eigenschaften. «Wir denken, Menschen unterscheiden sich in ihren Meinungen aufgrund ihres Geburtsjahres», sagt der empirische Sozialforscher. Dies liege aber schlichtweg daran, dass junge Menschen schon immer anders gedacht hätten als alte. «Gleichzeitig denken heute alle anders als früher.» Heisst: Die Zeiten ändern sich – und mit ihnen auch die Menschen.
Tief ins uns drinnen diskriminieren wir gerne.
In seinen Untersuchungen stützt sich Schröder auf Abertausende Befragungen, die über die Jahrzehnte durchgeführt wurden. Der Soziologe konnte keinerlei Belege dafür finden, dass gewisse Generationen etwa der Arbeit weniger Bedeutung zumessen oder politikverdrossen sind. «Diese gängigen Behauptungen haben sich bislang nie in den Daten wiedergefunden.»
Nachfolgende Generationen landen auch aus niederen Motiven auf der Anklagebank. «Tief in uns drinnen diskriminieren wir gerne», führt Schröder aus. «Wir möchten zu einer Gruppe gehören, die wir gut finden.» Der einfachste Weg dazu: «die Anderen» herunterputzen. Ein «Generationismus», der für Schröder durchaus Parallelen zum Sexismus oder Rassismus hat.