Den meisten Deutschen ist ihre Bundeswehr eine ungeliebte Notwendigkeit. Sie schenken ihr wenig Beachtung, solange keine Skandale für Schlagzeilen sorgen. Leider gab es deren einige in den letzten Jahren: Wegen Gewehren, die nicht geradeaus schossen, wegen einer Marine, die nicht in See stach, wegen Flugzeugen, die nicht abhoben, wegen zu wenig Helmen und zu vielen Rechtsextremen in der Truppe.
Das Bild, das in der Öffentlichkeit entstand, war kein gutes: Die Bundeswehr, das wohlstands-verwahrloste Kind, das zwar sein Bestes gibt in Afghanistan oder Mali, und dennoch nie genügen kann. Eine Landes- oder Bündnisverteidigung scheint in ihrem jetzigen Zustand undenkbar.
Ein bürokratisches Monster
Und das, obwohl die Ausgaben immer weiter gestiegen sind, alleine in den letzten acht Jahren von gut 30 auf über 50 Milliarden Euro. Trotz des vielen Geldes blieb die Ausrüstung mangelhaft und schweres Gerät oft absent. Nicht einmal im Einsatz gibt es genug Helme und Schutzwesten. Die Bundeswehr gilt als bürokratisches Monster, in dem Milliarden versickern.
Der Krieg sei aus dem politischen Referenzrahmen heraus dekliniert worden, sagt Militärhistoriker Sönke Neitzel. «Die Bundeswehr ist nicht zur Kriegsführung da, der Institution wurde die eigentliche Aufgabe genommen. Und deshalb ist sie so dysfunktional.»
Deutschland tut sich schwer
Wurde die Sicherheit Europas vor zwanzig Jahren angeblich am Hindukusch verteidigt, ist das Schlachtfeld nun sehr viel näher gerückt. Deutschland müsse als mächtigstes Land der EU seinen Beitrag leisten, ja vorangehen, lautet der verbreitete Konsens.
Doch Deutschland tut sich schwer. Die Verantwortung für zwei Weltkriege hemmt bis heute – oder dient als Ausrede, je nach Sichtweise. Die Argumentation, Deutschland müsse sich wegen seiner historischen Schuld auch heute noch militärisch zurückhalten, stösst zunehmend auf Unverständnis.
Das Grundproblem ist nicht das Geld, sondern der Wille zum Handeln.
Eine Aus- und Aufrüstung der Bundeswehr scheint der Zeitenwende, die Kanzler Olaf Scholz Ende Februar proklamierte, angemessen. Die rechte Seite des Bundestages reagierte mit stehendem Applaus, die internationalen Verbündeten mit Anerkennung. Doch daraus folgen auch Erwartungen.
Wird Deutschland militärisch eine Führungsrolle übernehmen, wie in der Eurokrise oder in internationalen Steuerfragen? «Das Grundproblem ist nicht das Geld, sondern der Wille zum Handeln», sagt Militärhistoriker Neitzel. «Die Bundeswehr muss bereit sein, zu kämpfen, sonst können wir sie auflösen.»
Wie ernst ist Scholz die «Zeitwende»?
Eine echte Kampftruppe zu sein, schlagkräftig und einsatzbereit, davon ist die deutsche Armee weit entfernt. 100 Milliarden Euro sollen in den nächsten Jahren die grössten Löcher stopfen. Doch mit Widerstand ist zu rechnen, auch aus den Reihen der Regierung, insbesondere aus der SPD.
Alles andere wäre wohl zu viel verlangt – immerhin bricht Deutschland mit Grundsätzen, die jahrzehntelang galten. Und dennoch: Der Kanzler muss sich an seinen eigenen Worten messen lassen. Wie ernst ist ihm die «Zeitenwende»? Das wird sich nicht zuletzt bei der Bundeswehr zeigen.