Kriege sind brutal. Wenigstens die Zivilbevölkerung zu schützen, das soll das humanitäre Kriegsvölkerrecht gemäss Genfer Konventionen. Doch im Krieg in der Ukraine würden die entsprechenden Prinzipien immer wieder verletzt, sagt Matilda Bogner, die Leiterin der UNO-Monitoring-Mission vor Ort – und zwar hauptsächlich durch die russischen Streitkräfte und mit ihnen verbündete Milizen.
Die häufigste Methode: Explosivwaffeneinsätze in dicht besiedelten Gebieten. Zivilistinnen und Zivilisten tragen entsprechend die Hauptlast dieses Krieges. Es geht den Angreifern oft gar nicht um militärische Ziele. Vielmehr darum, mit Angriffen auf Unbeteiligte Angst und Schrecken zu verbreiten und den ukrainischen Widerstandsgeist zu brechen.
Die UNO konnte bislang beinahe 6000 zivile Tote verifizieren – darunter 382 Kinder –, und fast 8900 Verletzte. Die tatsächlichen Zahlen, so UNO-Vertreterin Bogner, lägen weitaus höher.
UNO will Russland zur Rechenschaft ziehen
Erik Möse, der Vorsitzende der unabhängigen Untersuchungskommission des UNO-Menschenrechtsrats, sagt unmissverständlich: «Wir stellen fest, dass in der Ukraine Kriegsverbrechen begangen werden.» Ermordungen durch Schusswaffen und Sprengsätze sind nur ein Teil davon. Dazu kommen sexuelle Gewalt, Folter, Verschleppungen, willkürliche Haft oder Misshandlungen.
Beide UNO-Expertengruppen stellen fest: Es gab zwar auch vereinzelt Menschenrechtsverletzungen durch ukrainische Sicherheitskräfte. Die ganz überwiegende Mehrheit gehe indes zulasten der russischen. Möse betont: «Nur wenn wir von einem Sachverhalt überzeugt sind, berichten wir darüber.»
Jeder, der ein Gewehr oder eine Rakete abfeuert, muss sich bewusst sein, dass es Gesetze gibt.
Die Zurückhaltung gründet darin, dass es darum geht, vor Gericht verwertbare Beweise zu sammeln. Die UNO und der internationale Strafgerichtshof ICC stellen Material zusammen, das künftig vor Gerichten gegen die Täter verwendet werden kann. ICC-Chefankläger Karim Khan sagte es vorige Woche vor dem UNO-Sicherheitsrat so: «Jeder, der ein Gewehr oder eine Rakete abfeuert, muss sich bewusst sein, dass es Gesetze gibt.»
Strafverfolgung bliebe wohl symbolisch
Auch UNO-Generalsekretär António Guterres fordert, dass Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen nicht länger straflos bleiben. Es gebe keinen Frieden ohne Gerechtigkeit, sagt die französische Aussenministerin Catherine Colonna. Das Land macht sich zum Wortführer jener Staaten, die Strafjustiz fordern. Auch die Schweiz stellt sich entschieden hinter diese Forderung.
Doch im Fall Russland ist das momentan schwer in die Tat umzusetzen. Moskau hat sich dem ICC nie angeschlossen, weshalb der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba ein internationales Sondergericht fordert.
Doch selbst wenn ein solches geschaffen wird, dürften Wladimir Putin und seine Handlanger nicht so bald vor dessen Schranken stehen. Sie hüten sich jetzt schon, in Länder zu reisen, wo ihnen eine Strafverfolgung droht oder eine Auslieferung an ein internationales Tribunal. Erst ein Machtwechsel in Russland könnte den Weg freimachen zu einer umfassenden Strafverfolgung.