Im Gegensatz zur Ukraine und zu Moldawien bleibt der Kaukasusrepublik Georgien der EU-Kandidatenstatus noch verwehrt, aber immerhin in Aussicht gestellt. Dass das Land unbedingt in die EU möchte, unterstrichen 20'000 Demonstrierende Anfang Woche in Tiflis. Nach dem vorläufigen Nein aus Brüssel ist in der Hauptstadt für Freitagabend eine weitere proeuropäische Kundgebung geplant.
Den Menschen auf der Strasse und in der Politik war bereits vor Tagen klar, dass sie aufgrund der Empfehlungen der EU-Kommission den Kandidatenstatus nicht bekommen würden, wie ARD-Korrespondentin Martha Wilczynski berichtet: Entsprechend war die Enttäuschung vorprogrammiert, auch wenn bei den Aktivistinnen und Aktivisten ein kleiner Hoffnungsfunke geblieben ist.
EU stellt schwierige Hausaufgaben
Die vorläufige Absage wird laut Wilczynski aber von vielen auch als Motivation genommen, die von der EU gestellten Bedingungen anzugehen. Die georgische Präsidentin Salome Surabischwili sprach von einem historischen Moment für Georgien, da nun die europäische Perspektive gegeben sei.
An erster Stelle fordert die EU neben grundlegenden Reformen, dass die Polarisierung innerhalb der georgischen Politik minimiert oder beseitigt werden soll. Die Regierungspartei «Georgischer Traum» und die Opposition stehen sich im Parlament unversöhnlich gegenüber. Debatten kommen kaum zustande. Sogar EU-Ratspräsident Charles Michel scheiterte in Tiflis mit seinem Vermittlungsversuch. Die neuen Bekundungen, die Probleme jetzt anzupacken, beginnen bereits wieder mit Schuldzuweisungen.
Druck von der Strasse soll bleiben
Auch auf der Strasse sind laut ARD-Korrespondentin Wilczynski viele Menschen skeptisch, ob die EU-Bedingungen innerhalb der gesetzten sechs Monate umsetzbar sind. Nach dem vorläufigen Nein aus Brüssel ist in der Hauptstadt für Freitagabend eine weitere proeuropäische Kundgebung geplant. Damit soll der Druck auf die Regierung erhöht werden. Diese Frist müsse genutzt werden, sonst wisse man nicht, wann sich die Tür nach Europa wieder öffne, erklärte der Organisator der Kundgebung. Dies sei eine «Chance, die man nur einmal im Leben erhalte».
Ursprünglich wollte Georgien das Gesuch für den EU-Kandidatenstatus erst 2024 einreichen, zog den Schritt wegen des Ukraine-Kriegs um zwei Jahre vor.
Auf der einen Seite anerkennen Regierungspartei und Opposition die Gefahr, die von Russland ausgeht, und die Solidarität mit der Ukraine ist sehr gross: Russische Panzer sind nur wenige Dutzend Kilometer von der Hauptstadt Tiflis entfernt. Mit Südossetien und Abchasien haben sich 2008 mithilfe Russlands 20 Prozent des georgischen Territoriums abgespalten.
Haltung zu Russland
Auf der anderen Seite kommt von Aktivistinnen und Aktivisten und der Opposition immer wieder der Vorwurf an die Regierungspartei, sie sei sehr prorussisch. Im Hintergrund steht dabei der Oligarch Bidsina Iwanischwili. Als ehemaliger Premier mischt er zwar nicht politisch, aber finanziell mit, hat er doch sein Vermögen in Russland gemacht. Georgien ist auch zurückhaltender bei den Sanktionen gegen Russland. Der Finanzfluss ist zwar blockiert, aber auf persönliche Sanktionen wird verzichtet. Mit ein Grund, weshalb die Ukraine ihren Botschafter aus Tiflis abgezogen hat.