Aus zehntausenden Kehlen erschallte am Montag der Ruf «nach Hause, nach Europa» in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Die Demonstranten verlangen, dass Georgien bald EU-Mitglied werden kann. Doch die EU-Kommission will Georgien nicht als EU-Kandidatenland anerkennen. Im Gegensatz zur Ukraine und Moldawien, die diesen Status bekommen sollen.
Aber die georgische Bevölkerung will klar in die EU. Die Zustimmungswerte für einen Beitritt liegen bei etwa 80 Prozent. Man ist überzeugt, zu Europa zu gehören. Sie möchten raus aus der Einflusssphäre Russlands.
Lange war Georgien eine Art Musterschüler unter den Staaten der Östlichen Partnerschaft der EU. Das sagt SRF-Auslandredaktorin Judith Huber. «Georgien tat sehr viel, um die verlangten Reformen durchzusetzen. Das Land rechnete fest damit, dass es zum EU-Beitritt kommen wird.»
Gründe gegen einen Kandidatenstatus
Und doch hat die EU-Kommission Georgien den Status als Kandidatenland letzten Freitag verwehrt. Die Auslandredaktorin nennt Gründe: «Die georgische Regierung hat in den letzten Jahren angefangen, die demokratischen Institutionen auszuhöhlen. Ausserdem hat sie ganz konkrete Reformen verweigert, die die EU gefordert hatte.» Zum Beispiel eine Wahlrechts- oder eine Justizreform.
«Auch um die Freiheit der Medien ist es immer schlechter bestellt.» Die Regierung habe ausserdem eine gewisse antiwestliche Rhetorik zu pflegen angefangen. «Sie wurde gar ausfällig gegen einzelne EU-Politiker und -Politikerinnen.»
Es steht der Verdacht im Raum, dass die Regierung sich vom Kreml beeinflussen lässt.
Besonders ins Gewicht fällt, dass sich Georgien nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine nicht den Sanktionen des Westens angeschlossen hat. «Es steht auch der Verdacht im Raum, dass die Regierung sich vom Kreml beeinflussen lässt», so Huber.
Ein Grund dafür ist der enge Geschäftskontakt von Bidsina Iwanischwili zu Russland. Der schwer vermögende Geschäftsmann ist der Gründer der Regierungspartei «Georgischer Traum». «Das sieht die EU als Hypothek und als Hindernis dafür, dass das Land den Kandidatenstatus erhält.»
Auf den Entscheid der EU hat die georgische Regierung «ein bisschen beleidigt und irgendwie überheblich reagiert», so Judith Huber. «Der Regierungschef hat gesagt, Georgien verdiene den EU-Kandidatenstatus viel mehr als die Ukraine und Moldawien.»
Irakli Garibaschwili wies auch darauf hin, dass russische Truppen sehr nahe sind. Zurecht, findet Huber. Sie sind 50 Kilometer von der Hauptstadt Tiflis entfernt. Tausende russische Soldaten sind in den Gebieten Abchasien und Südossetien. «Die Regierung argumentiert, man sei zurückhaltend mit den Sanktionen gegenüber Russland, weil man so eine Eskalation mit Russland vermeiden wolle.»
Ausserdem ist Georgien wirtschaftlich sehr abhängig von Russland. Neben dieser Argumentation der Vorsicht verbreitet die Regierung hingegen Verschwörungstheorien: Der Westen wolle Georgien in einen Krieg mit Russland treiben.
Georgien wird von der EU auf die Wartebank verbannt. Mit möglichen Folgen. «Es gibt die Befürchtung, dass dies das Land in die Einflusssphäre Russlands treiben könnte. Dass eine antiwestliche Stimmung entstehen oder sogar gezielt gefördert werden könnte», erklärt die Auslandredaktorin. Russland könnte die Entscheidung der EU gar als Freipass verstehen, um seinen Einfluss auszuweiten.