Birmingham: Regen, Sturm und viel Ärger in der Luft. Vor dem Konferenzzentrum in der Innenstadt stehen Demonstranten mit Schildern. «Stoppt die Tories!» – «Sie sind nicht fähig zu regieren». Ein freundlicher Empfang sieht anders aus. Auch im Inneren des Gebäudes läuft es in diesen Tagen nicht nach Plan.
Nachdem das Steuersenkungspaket der neuen Regierung das britische Pfund in den freien Fall befördert und die Partei in Aufruhr versetzt hatte, musste Schatzkanzler Kwasi Kwarteng seine Parteitag-Rede kurzfristig umschreiben. Er habe die Lektion verstanden, versicherte Kwarteng.
Die kleine Turbulenz, wie er die 180-Grad-Wende der Regierung zu nennen pflegt, sei überstanden – man bleibe auf Kurs. Der Steuersatz für die Reichsten soll zwar nun nicht gesenkt werden, der Grossteil der restlichen Steuererleichterungen aber wird beibehalten.
Wie die fehlenden Einnahmen von rund 45 Milliarden Franken eingespart werden sollen, will der Schatzkanzler Ende Monat bekannt geben. Kürzungen bei Sozialleistungen scheinen unvermeidbar. «Konservative Politik bedeutet eben niedrige Steuern», erklärt ein konservativer Unternehmer nach der Rede des Schatzkanzlers.
Fehler einzugestehen, sei mutig, meint eine weitere Frau. Von Zwist und Zwietracht in der Partei könne keine Rede sein. Man sei wunderbar vereint und blicke gelassen den nächsten Wahlen entgegen, sagt sie. Von Eintracht könne keine Rede sein, sagt dagegen ein jüngerer Parteigänger. So wie sich die Tories heute präsentierten, könnten die Wahlen in zwei Jahren aus seiner Sicht in einem Desaster enden.
Truss gibt sich betont sturmfest
Nach der Kehrtwende der Regierung beschuldigen sich Minister in den Medien gegenseitig des Komplotts und Verrats. Die Umfragewerte der Tories sind auf einem historischen Tief.
Der neuen Premierministerin mag es an politischem Fingerspitzengefühl fehlen, aber nicht an Selbstvertrauen. «Wandel ist immer mit Verunsicherung verbunden. Ich lasse mich nicht erschüttern und werde das Land durch den Sturm führen», sagte Truss in ihrer Rede. Ihr nicht ganz neues Rezept: «Wachstum, Wachstum, Wachstum.»
Truss lässt sich nicht erschüttern, eine Unterbrechung konnte sie jedoch nicht verhindern: Zwei Greenpeace-Aktivisten hatten sich unter das Publikum gemischt und protestierten dagegen, dass die Tories für die Öl- und Gasgewinnung das umstrittene Fracking wieder zulassen wollen.
Auch von Anti-Wachstums-Aktivisten lasse sie sich nicht aufhalten, meinte Truss: «Labour, die Liberaldemokraten, die Schottische Nationalpartei, die militanten Gewerkschaften, Aktivisten von unzähligen NGOs – sie sind es, die von ihren Einfamilienhäusern in London täglich in die BBC-Studios pilgern, um dort alle schlechtzureden, welche den gewohnten Lauf der Dinge verändern wollen.»
Die Angst vor dem, was da noch kommen mag
Die zweckoptimistische Erweckungspredigt wurde zwar mit wohlwollendem Applaus bedacht, den Scherbenhaufen der vergangenen Tage konnte sie jedoch nicht beseitigen.
Kaum vier Wochen im Amt hat Truss mit ihrer Politik den Ruf der Partei bereits arg ramponiert. Ihr Steuerpaket hat die Finanzmärkte nicht beflügelt, sondern derart verunsichert, dass die Zentralbank mit einem Notprogramm einschreiten musste. Mit gutem Grund fragen sich deshalb viele Britinnen und Briten besorgt, was da wohl noch kommen mag.