Marte Mancha ist 46 Jahre alt und Teil des Netzwerks «Non Una Di Meno», einer feministischen Gruppierung, die junge Frauen bei Abtreibungen unterstützt. Unser Treffpunkt ist das trostlose Kaff Fabriano in den Marken, einer Region im Nordosten Italiens mit 9500 Quadratkilometern Fläche und 1.5 Millionen Menschen.
Die Marken waren bis 1870 Teil des Kirchenstaates und sind bis heute besonders konservativ. Jeweils an einem Samstag um 8 Uhr finden die Abtreibungen zum Beispiel im Spital der Provinzhauptstadt Ascoli statt. «Non Una Di Meno» holt die Frauen zuhause ab.
Die Undercover-Operation
Damit Eltern oder Mitbewohner nicht argwöhnisch werden und womöglich intervenieren, werde ein Codewort vereinbart, etwa «Treffe mich mit Freundinnen», erzählt Marte. Im Spital warten Aktivistinnen, bis der Eingriff vorbei ist, stets via WhatsApp in Kontakt mit der Patientin.
In Ascoli nehme nur eine einzige Gynäkologin den Eingriff vor. Unter schwierigen Umständen, denn das Personal verweigere oft jede Unterstützung, gebe keine Schmerzmittel oder verlasse den Operationssaal, so Marte.
Verweigerung aus Gewissensgründen
Eine Verweigerung aus Gewissensgründen ist gesetzlich zwar erlaubt, kann aber gravierende Folgen haben. «Wir stehen buchstäblich mit dem Gesetz in der Hand bereit, erinnern das Personal an den hippokratischen Eid und drohen notfalls mit Klagen, um das Recht auf Abtreibung durchzusetzen», so die Aktivistin.
Die Stigmatisierung der Abtreibung hat auch zur Folge, dass viele angehende Ärztinnen und Ärzte an der Universität für Abtreibungen nicht ausgebildet werden. Im Wissen, dass Abtreibungen karriereschädlich seien, wollen sie dies auch gar nicht lernen: «Wer keine Gewissensgründe geltend macht, muss befürchten, lebenslänglich nur noch Abtreibungen zu machen und beruflich nicht voranzukommen.»
Wegen der Stigmatisierung der Abtreibung werden viele angehende Ärztinnen und Ärzte gar nicht für Abtreibungen ausgebildet.
Beratung und Bedenkzeit
Bevor eine Frau in den ersten 90 Tagen legal abtreiben kann, muss sie zu einer offiziellen Beratungsstelle gehen und nach einer Woche Bedenkzeit ihren Willen bestätigen. In diesem Zusammenhang erzählt Marte von einem speziellen Zwischenfall: So hatte sie einer jungen Frau die Telefonnummer einer solchen Beratungsstelle gegeben, gefunden in der PDF-Adressliste eines Spitals. Doch die Frau landete mit der Nummer direkt bei den Abtreibungsgegnern von Pro Life.
Oft müssen Patientinnen auch weit reisen, um zu ihrer legalen Abtreibung zu kommen. Denn viele Gynäkologen verweigern in ganz Italien Abtreibungen aus Gewissensgründen. In den Marken sei der Anteil dieser Ärzte mit 73 Prozent nur besonders hoch, sagt die linke Aktivistin und Anwältin Agnese Santarelli.
Rechte gibt Ton an – Kirche immer dagegen
Bereits 2020 haben in den Marken die postfaschistischen Fratelli d'Italia von Georgia Meloni die Regionalwahlen gewonnen. Seither lässt die regionale Regierung laut Santarelli die Abtreibungspille RU-486 nur noch in Kombination mit einem eintägigen Spitalaufenthalt zu. Das habe die Hürden zusätzlich erhöht, obwohl das nationale Gesundheitsministerium die blosse Verschreibung durch einen Arzt erlaube.
Es ist ein Problem von ganz Italien, seit das Abtreibungsgesetz vor 44 Jahren in Kraft getreten ist.
Die massive Behinderung der Abtreibung ist allerdings nicht neu, doch sie hat sich nach dem Wahlsieg der Rechten weiter verschärft. «Es ist ein Problem von ganz Italien, seit das Abtreibungsgesetz vor 44 Jahren in Kraft trat. Die katholische Kirche hat aus ihrer Abneigung nie einen Hehl gemacht», betont Santarelli.