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Warum Frankreich aus Wein Desinfektionsmittel macht
Aus News Plus vom 29.08.2023. Bild: Keystone/EPA/Guillaume Horcajuelo
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Adieu Weinkultur Sacre bleu! Franzosen verarbeiten Wein zu Desinfektionsmittel

«Wie Gott in Frankreich» war gestern: In der stolzen Weinnation geschieht derzeit Unerhörtes. Die Hintergründe.

Glaubt man der Überlieferung, verwandelte Jesus im biblischen Galiläa 600 Liter Wasser zu Wein. 2000 Jahre später geschehen in Frankreich Dinge, die das Abendland erschaudern lassen: Dort wird aus überschüssigem Wein Desinfektionsmitteln gemacht.

Der Grund ist allerdings nicht ein Comeback von Corona, gepaart mit schwindenden Vorräten an Desinfektionsmittel. Sondern eine ganz profane Erkenntnis: «Frankreich produziert seit Jahren mehr Wein, als es konsumiert», erklärt SRF-Korrespondent Daniel Voll.

Bestätigung aus der «Froschperspektive»

Auslöser der Entwicklung sind die veränderten Lebensgewohnheiten in Frankreich. So greifen gerade jüngere Menschen lieber zu einem Bier oder verzichten ganz auf Alkohol.

Voll lebt in Paris und beobachtet im Alltag, dass das Glas Wein zum Mittagessen immer öfter dem stillen Wasser Platz macht. Und in Bars verdrängt der Negroni zunehmend den Chardonnay. «Das ist zumindest meine subjektive Feststellung aus der Froschperspektive», scherzt der Korrespondent.

Weinkonsum seit Jahren rückläufig

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Legende: Getty Images/Kiran Ridley

Bier hat inzwischen Wein – wenn auch mit hauchdünnem Vorsprung – bei der jährlichen Umfrage der Marketinggesellschaft Sowine den Rang als beliebtestes Getränk in Frankreich abgelaufen. Die Vorliebe für Bier ist demnach bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen, und Weisswein ist nach der Befragung gefragter als Rotwein. Bei der Umfrage gaben 15 Prozent der Menschen in Frankreich an, keinen Alkohol zu trinken. Unter den 18- bis 25-Jährigen sind es 23 Prozent, in der Altersspanne der 50- bis 65-Jährigen nur 10 Prozent.

Der Weinkonsum sinkt in Frankreich seit längerem, wobei in den letzten Jahren gerade jüngere Leute dem Nationalgetränk den Rücken kehren, wie der Branchenverband Vin & Société zur Jahreswende mitteilte. Innerhalb von 60 Jahren sank der Weinkonsum der Franzosen um rund 70 Prozent von über 120 Litern pro Jahr und Einwohner 1960 auf weniger als 40 Liter im Jahr 2020.

Bei den 18- bis 35-Jährigen verlor Wein von 2014 bis 2021 neun Prozentpunkte Marktanteil. 2021 entfielen 39 Prozent der Einkäufe alkoholischer Getränke der unter 35-Jährigen auf Bier, Wein machte 27 Prozent aus.

Entsprechend gross ist die Tristesse beim Branchenverband. Er beklagt die gesellschaftlichen Veränderungen, die den Weinkonsum drosseln. So würden die traditionellen Mahlzeiten, bei denen Wein auf den Tisch kommt, an Bedeutung verlieren. Auch werde die Kultur des Weintrinkens in den Familien nicht mehr wie früher gepflegt. Und zu guter Letzt gibt es immer mehr Single-Haushalte. Wein werde aber eher in Gesellschaft getrunken.

Wollen wir in den kommenden Jahren Wein auf unseren Tischen sehen oder in unseren Museen?
Autor: Samuel Montgermont Präsident des Branchenverbands der Winzer

Das Image des Weines müsse in Frankreich aufpoliert werden, fordert der Verband. Es gehe nicht darum, die Franzosen zum Exzess aufzurufen, sagte Vin-&-Société-Präsident Samuel Montgermont. «Die Frage ist eine ganz andere: Wollen wir in den kommenden Jahren Wein auf unseren Tischen sehen oder in unseren Museen?»

Bis diese Schicksalsfrage geklärt ist, wird der überschüssige Wein in Ethanol umgewandelt. Dieses dient als Grundstoff in der chemischen Industrie und kann für die Produktion von Farben, Desinfektionsmittel oder Medikamenten verwendet werden.

Weinbau bleibt wichtiger Wirtschaftszweig

Allein ist Frankreich mit dieser Vernichtungsaktion allerdings nicht, wie Korrespondent Voll erklärt. «Auch in der Schweiz wurden bereits mehrmals solche Aktionen durchgeführt.» Der französische Staat springt den Winzerinnen und Winzern zur Seite und unterstützt sie mit 200 Millionen Euro.

Die Landwirtschaft ist in Frankreich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. «Und der Weinbau ist nach wie vor eine der tragenden Säulen», so der Korrespondent. «Und das nicht nur wegen des Renommees, sondern auch wegen des wirtschaftlichen Gewichts.»

Erntehelfer auf Rebberg in Frankreich
Legende: Ganze 17 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion Frankreichs entfallen auf den Weinbau. Rund 60'000 Betriebe produzieren Wein für 12 Milliarden Euro. Keystone/EPA/Helem Pictures

Klar ist: Die Weinnation Frankreich ist im Umbruch. «Daran hat auch der Klimawandel einen grossen Einfluss», sagt Voll. Um das Problem der Überproduktion anzugehen, rückt in der weltberühmten Anbauregion Bordeaux nach der Weinlese im Herbst schweres Gerät an: Auf rund 9500 Hektar Fläche werden die Reben herausgerissen. Vom Staat erhalten die Weinbauern dann Geld, wenn sie dort künftig etwa Olivenbäume anpflanzen.

Zur allgemeinen Beruhigung: «Die Krone der französischen Weine, diejenigen, die in den grossen Schlössern von Bordeaux produziert werden, sind davon aber nicht betroffen», schliesst Voll.

SRF 4 News, 30.08.2023, 7:46 Uhr ; 

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