Glaubt man der Überlieferung, verwandelte Jesus im biblischen Galiläa 600 Liter Wasser zu Wein. 2000 Jahre später geschehen in Frankreich Dinge, die das Abendland erschaudern lassen: Dort wird aus überschüssigem Wein Desinfektionsmitteln gemacht.
Der Grund ist allerdings nicht ein Comeback von Corona, gepaart mit schwindenden Vorräten an Desinfektionsmittel. Sondern eine ganz profane Erkenntnis: «Frankreich produziert seit Jahren mehr Wein, als es konsumiert», erklärt SRF-Korrespondent Daniel Voll.
Bestätigung aus der «Froschperspektive»
Auslöser der Entwicklung sind die veränderten Lebensgewohnheiten in Frankreich. So greifen gerade jüngere Menschen lieber zu einem Bier oder verzichten ganz auf Alkohol.
Voll lebt in Paris und beobachtet im Alltag, dass das Glas Wein zum Mittagessen immer öfter dem stillen Wasser Platz macht. Und in Bars verdrängt der Negroni zunehmend den Chardonnay. «Das ist zumindest meine subjektive Feststellung aus der Froschperspektive», scherzt der Korrespondent.
Entsprechend gross ist die Tristesse beim Branchenverband. Er beklagt die gesellschaftlichen Veränderungen, die den Weinkonsum drosseln. So würden die traditionellen Mahlzeiten, bei denen Wein auf den Tisch kommt, an Bedeutung verlieren. Auch werde die Kultur des Weintrinkens in den Familien nicht mehr wie früher gepflegt. Und zu guter Letzt gibt es immer mehr Single-Haushalte. Wein werde aber eher in Gesellschaft getrunken.
Wollen wir in den kommenden Jahren Wein auf unseren Tischen sehen oder in unseren Museen?
Das Image des Weines müsse in Frankreich aufpoliert werden, fordert der Verband. Es gehe nicht darum, die Franzosen zum Exzess aufzurufen, sagte Vin-&-Société-Präsident Samuel Montgermont. «Die Frage ist eine ganz andere: Wollen wir in den kommenden Jahren Wein auf unseren Tischen sehen oder in unseren Museen?»
Bis diese Schicksalsfrage geklärt ist, wird der überschüssige Wein in Ethanol umgewandelt. Dieses dient als Grundstoff in der chemischen Industrie und kann für die Produktion von Farben, Desinfektionsmittel oder Medikamenten verwendet werden.
Weinbau bleibt wichtiger Wirtschaftszweig
Allein ist Frankreich mit dieser Vernichtungsaktion allerdings nicht, wie Korrespondent Voll erklärt. «Auch in der Schweiz wurden bereits mehrmals solche Aktionen durchgeführt.» Der französische Staat springt den Winzerinnen und Winzern zur Seite und unterstützt sie mit 200 Millionen Euro.
Die Landwirtschaft ist in Frankreich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. «Und der Weinbau ist nach wie vor eine der tragenden Säulen», so der Korrespondent. «Und das nicht nur wegen des Renommees, sondern auch wegen des wirtschaftlichen Gewichts.»
Klar ist: Die Weinnation Frankreich ist im Umbruch. «Daran hat auch der Klimawandel einen grossen Einfluss», sagt Voll. Um das Problem der Überproduktion anzugehen, rückt in der weltberühmten Anbauregion Bordeaux nach der Weinlese im Herbst schweres Gerät an: Auf rund 9500 Hektar Fläche werden die Reben herausgerissen. Vom Staat erhalten die Weinbauern dann Geld, wenn sie dort künftig etwa Olivenbäume anpflanzen.
Zur allgemeinen Beruhigung: «Die Krone der französischen Weine, diejenigen, die in den grossen Schlössern von Bordeaux produziert werden, sind davon aber nicht betroffen», schliesst Voll.