Darum geht es: Laut einem bislang unveröffentlichten Bericht der US-Behörden sollen die Taliban in Afghanistan die Hilfslieferungen der UNO zu einem grossen Teil für sich vereinnahmt haben. An wen und wie die Güter verteilt werden, entscheiden in Afghanistan also nicht mehr internationale Organisationen, sondern Vertreter des islamistischen Regimes. Für die Menschen in Afghanistan sei das die falsche Optik, sagt Ellino Zeino, die für die Konrad-Adenauer-Stiftung das Regionalprogramm Südwestasien leitet und derzeit in Kabul weilt.
Wenn die Fragen von Bildung und Wirtschaft nicht geklärt werden, werden immer mehr Menschen Afghanistan verlassen.
Kritik in Afghanistan: Der US-Bericht wird in Afghanistan kritisch gesehen. «Man hat hier in Afghanistan das Gefühl, dass man an den eigentlichen Problemen des Landes vorbeiredet», stellt Zeino fest. Viel wichtiger als die Korruption unter den Taliban seien den Menschen die ungelöste Bildungsfrage sowie die wirtschaftlichen Einschränkungen – denn diese beiden Themen würden über die Zukunft Afghanistans entscheiden. «Wenn diese Fragen nicht geklärt werden, werden immer mehr Menschen versuchen, Afghanistan zu verlassen», sagt Zeino.
Schwierige Perspektiven: Die meisten Afghaninnen und Afghanen würden gerne in ihrer Heimat bleiben, stellt die Stiftungsmitarbeiterin fest. «Aber ohne Bildung und ohne Jobaussichten wird es schwierig, hier noch über die Runden zu kommen.» Viele Leute wünschten sich denn auch ein über humanitäre Hilfslieferungen hinausgehendes Engagement aus dem Ausland. «Viele hoffen, dass Afghanistan aus der wirtschaftlichen Isolation hinausgeführt wird.» Doch das sei und werde angesichts der aktuellen Lage in Afghanistan immer schwieriger, sagt Zeino – und meint damit auch die internationalen Sanktionen, die es fast verunmöglichten, mit dem Ausland im Geschäft zu bleiben.
Präsenz ist wichtig: Die Menschen in Afghanistan seien froh um jede kleine internationale Organisation, die noch im Land verbleibe und sie unterstütze, sagt Zeino. «Die Menschen wünschen sich, dass man mit ihnen in Kontakt bleibt.» Das gebe den Menschen Schutz und auch Hoffnung, dass sich doch noch etwas ändern könnte. Derzeit sehe es zwar nicht danach aus, dass der Westen das Taliban-Regime in nächster Zeit als legitime Herrscher anerkennen werde. «Die Menschen möchten nicht in völlige Isolation getrieben werden.»