Besuch in einer Firmenkantine im Herzen Kabuls. Es ist ein sicherer Ort, um afghanische Frauen wie Tamana zu einem Kaffee zu treffen. Die junge Ökonomin arbeitet für eine grosse internationale Hilfsorganisation.
Doch seit dem Arbeitsbann der Taliban vor einem halben Jahr ist sie gezwungen, zu Hause zu bleiben. Wenn sie doch einmal das Haus verlässt, wie heute, muss ihr Mann sie begleiten.
Am 24. Dezember habe sie eine E-Mail erhalten, dass alle Mitarbeiterinnen zu Hause bleiben müssten, erzählt Tamana. «Die Begründung des islamischen Emirats: Frauen befolgten die islamischen Kleidervorschriften nicht. Wir waren geschockt.» Seit dem Verbot versucht Tamana, ihre Arbeit mehr schlecht als recht von zu Hause aus zu machen.
Zuversicht schwindet zusehends
Ihr Team hilft afghanischen Frauen auf dem Land, sich mithilfe von Mikrokrediten selbstständig zu machen. Diese Arbeit aus dem Homeoffice zu machen, sei fast unmöglich, sagt Tamana. «Wenn wir nicht bei den Frauen sind, können wir nicht überwachen, was sie tun, und nicht helfen.» Man könne den Kontakt höchstens noch per Telefon aufrechterhalten – falls überhaupt.
Beim Treffen mit Tamana im vergangenen Februar war sie noch zuversichtlich, bald an ihren Arbeitsplatz zurückkehren zu können, wenn auch mit strengeren Auflagen zur Geschlechtertrennung. Doch seitdem schwinde ihre Hoffnung von Tag zu Tag, sagt sie jetzt bei einem Telefongespräch.
Zunehmende Hoffnungslosigkeit macht sich auch bei NGOs breit, wie etwa dem Schweizer Hilfswerk Care International. Zunächst hätten die Taliban NGO-Frauen noch erlaubt, zumindest im Gesundheits- und Bildungsbereich weiterzuarbeiten, sagt Care-Sprecherin Mélissa Cornet. Doch inzwischen gebe es – wenn überhaupt – nur noch lokale Ausnahmen.
95 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze
Für die Arbeit der NGOs hat das schon jetzt gravierende Auswirkungen. Bei Care sind beispielsweise 40 Prozent der Angestellten Frauen. Ihre Arbeit könnten nicht einfach die männlichen Kollegen übernehmen, betont Cornet.
Denn drei Viertel der Hilfsempfänger sind Frauen und ihre Kinder. «In Afghanistan ist es gesellschaftlich nicht akzeptiert, dass ein männlicher NGO-Mitarbeiter mit Mädchen und Frauen arbeitet, die er nicht kennt.»
Wir haben nur noch 15 Prozent der Geldmittel, die wir bräuchten, um die humanitäre Hilfe sicherzustellen.
Die Leidtragenden sind die Afghaninnen und Afghanen. Schon jetzt leben nach Schätzungen Uno 95 Prozent der rund 40 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner unterhalb der Armutsgrenze und haben nicht genug zu essen. «Es gibt Provinzen, die sind nur noch einen Schritt von der Hungersnot entfernt», sagt die Care-Sprecherin.
Geldgeber ziehen sich zurück
Doch das Allerschlimmste sei, dass sich als Folge des Arbeitsverbots für Frauen ausgerechnet jetzt die Geldgeber zunehmend aus Afghanistan zurückzögen. «Wir haben nur noch 15 Prozent der Geldmittel, die wir bräuchten, um die humanitäre Hilfe sicherzustellen», klagt Cornet.
Die Folge: Internationale Hilfswerke müssen Projekte streichen, viele lokale Hilfsorganisationen haben ihre Arbeit aus Geldmangel bereits ganz eingestellt. Auch NGO-Mitarbeiterin Tamana fürchtet, dass ihr Projekt bald gestoppt werden könnte.
Den Taliban scheint das egal zu sein. Bis jetzt gebe es keinerlei Signal, dass sie ihre harte Haltung gegenüber Frauen aufweichten, heisst es bei Hilfsorganisationen. Auch wenn das Land immer mehr in die humanitäre Katastrophe rutscht.