In einem Vorort der polnischen Hauptstadt Warschau haben sich an diesem Wochenende rund 40 russische Oppositionspolitiker getroffen. Vor historischer Kulisse in einem ehemaligen Adelssitz wollten sie Geschichte schreiben und ein Parlament im Exil gründen. Das Ziel ist nicht nur ambitioniert, sondern scheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch weit entfernt.
Zum Kongress aufgerufen hat ein ehemaliger Abgeordneter des russischen Parlaments, Ilja Ponomarjow. Er hatte 2014 als einziger Abgeordneter der russischen Duma gegen die Krim-Annexion gestimmt und lebt seit mehreren Jahren im Exil in der Ukraine.
Offiziell wird Ponomarjow bei seinem Vorhaben nicht von Kiew unterstützt. Aus Sicht vieler Ukrainerinnen und Ukrainer ist er jedoch einer der wenigen Oppositionspolitiker aus Russland, dem sie ein gewisses Vertrauen entgegenbringen.
Ein Wagnis nach Jahren
In seiner Eröffnungsrede zum Kongress zeigte sich Ponomarjow selbstsicher: «Ich bin überzeugt davon, dass der Fall der heutigen Machthaber in Russland unausweichlich ist und die Schlüsselfiguren vor ein Gericht kommen werden. Aber ich weiss, dass wir uns versammelt haben, um dies zu klären.»
Das gewagte Vorhaben, die Opposition hinter einem gemeinsamen Ziel zu einen, ist der erste ernsthafte Versuch innerhalb der russischen Opposition seit über zehn Jahren, über alle ideologischen Gräben hinweg eine gemeinsame Struktur zu schaffen.
Umstrittenes Mandat
In den vergangenen Monaten hatte es verschiedene Versuche innerhalb der russischen Opposition ausserhalb der Landesgrenzen gegeben, um Widerstand gegen Putin und seinen Angriffskrieg zu zeigen. Doch eine Struktur, unter welcher sich der Widerstand organisieren könnte, wurde nicht geschaffen.
Die am Kongress Anwesenden eint, dass sie alle einst einen Sitz in einem russischen Parlament innehatten. Doch bei vielen liegt dies Jahre zurück und so entfachte sich die erste hitzige Diskussion an der Frage der Legitimität der Versammlung. Eine Mehrheit vertritt die Meinung, dass sich faire Wahlen gegenwärtig nicht durchführen liessen und eine Einigung wichtiger sei.
In Russland selbst hatt der Kreml alle bestehenden Strukturen der Opposition vor Beginn des Ukrainekriegs am 24. Februar zerstört. Doch spätestens seit Beginn der Grossoffensive stehen Oppositionspolitikerinnen und Politikern nur vor der Wahl zwischen Gefängnis oder Exil.
Aus dem Gefängnis lässt sich kein Widerstand koordinieren, und so bleibt diese Aufgabe bei jenen, die in alle Himmelsrichtungen aus Russland ausgereist sind. Die Repressionsmaschine des Kremls wäre Herausforderung genug, doch in einem ersten Schritt steht Russlands Opposition vor einer anderen Herausforderung: Einigkeit in den eigenen Reihen zu schaffen.
Wir rufen nicht zu Gewalt auf. Aber wir wollen den Menschen in Russland das Recht auf Widerstand gegen Putin zusprechen.
Am Kongress in Warschau nicht anwesend waren Vertreter aus dem Team von Alexey Nawalny. Auch Michail Chodorkowski und Garri Kasparow haben sich bisher nicht öffentlich für den Kongress ausgesprochen. Viele Oppositionspolitiker haben sich von Ponomarjow distanziert, als dieser Ende August zu gewalttätigem Widerstand gegen Putin aufgerufen hatte.
Am Kongress distanzierte man sich teilweise davon. «Wir rufen nicht zu Gewalt auf. Aber wir wollen den Menschen in Russland das Recht auf Widerstand gegen Putin zusprechen», sagte der ehemalige Duma-Abgeordnete Gennadi Gudkow. Es müsse nicht zwingend bewaffneter Widerstand sein. «Aber es ist uns bewusst, dass es nicht zu einem Machtwechsel auf verfassungskonformen Wegen kommen kann.»
Ilja Ponomarjow und den anderen ehemaligen Abgeordneten muss es erst noch gelingen, weitere Kreise der Opposition für ihre Sache zu gewinnen. Ansonsten droht dem Kongress ein schneller Fall in die Bedeutungslosigkeit.