Wir kommen nicht, um zu töten, zu zerstören oder zu bestrafen. Wir sind hier, um euch von der Armut und der Angst zu befreien, der Diktatur und der terroristischen Organisation, die die Macht an sich gerissen hat.
Mit reichlich Heldenpathos inszeniert sich ein Mann auf dem Messenger Telegram. Er nennt sich «Cäsar», trägt Kampfmontur und ist der Sprecher der «Legion Freiheit Russlands» – die sich gegen das Regime in Moskau stellt. Bei Worten bleibt es nicht: In den letzten 24 Stunden gab es Meldungen über Aktionen von paramilitärischen Organisationen auf russischem Staatsgebiet. Russische Militärblogger berichten von Kämpfen in der Region Belgorod und im Nachbargebiet Kursk.
Was genau passiert ist, ist unklar. Die Beteiligten selbst bleiben vage, sprechen von Gefechten und einem Einsatz für «Freiheit und Gerechtigkeit». Russland wiederum bestätigt militärische Auseinandersetzungen auf dem eigenen Territorium. Es stellt die Sachlage aber anders dar: Ukrainische Soldaten hätten versucht, nach Belgorod einzudringen.
Doch wer sind die russischen Kämpfer, die die «terroristische Organisation» in Moskau stürzen wollen? «Generell sind es Russen, die der Ansicht sind, dass sich das Putin-Regime nur mit Waffengewalt bekämpfen lässt», sagt Judith Huber, Ukraine-Korrespondentin von SRF.
Einige von ihnen seien schon länger in der Ukraine, weil sie nicht mehr in Putins Russland leben wollten oder könnten. Andere befänden sich erst seit Kriegsbeginn dort oder seien aus dem Exil in die Ukraine gekommen. «Es gibt darunter Nationalisten vom rechten Rand, aber auch linke Anarchisten», berichtet Huber. Dazu kämen eigentlich unpolitische Russen, die erst durch den Krieg radikalisiert wurden.
Wandel nur durch Waffengewalt
Guerilleros, die sich einem autokratischen Regime entgegenstellen und die angegriffene Ukraine unterstützen: Das klingt nach Kampf «Gut gegen Böse». Doch Huber relativiert: Zwar gebe es unter den Freischärlern durchaus Leute mit solch hehren Motiven. Unter den Kämpfern und Politikern, die sie unterstützen, seien aber auch zweifelhafte Figuren.
Den Zeitpunkt, ihren Kampf nach Russland zu tragen, haben die Partisanen offenbar bewusst gewählt. Denn an diesem Wochenende lässt sich Kreml-Chef Putin für weitere sechs Jahre als Präsident bestätigen. «Wählen» gehen die Freischärler aber nicht mit Stimmzetteln – sondern mit ihren Waffen. Und sie rufen die Russinnen und Russen dazu auf, den Wahlurnen fernzubleiben.
In vielerlei Hinsicht ist es eine grosse PR-Aktion, die die Leute aufrütteln und Aufmerksamkeit erregen soll.
Der Zeitpunkt für die Attacken sei durchaus geschickt gewählt, schätzt Huber: «Es geht darum, den Ablauf dieser Wahlinszenierung zu stören und den Menschen in Russland zu zeigen, dass der Krieg in der Ukraine auch sie betrifft – und Putin sie nicht schützen kann.»
Abseits von psychologischen verfolgen die Kämpfer aber auch konkrete militärische Ziele. Die Angriffe sollen zeigen, wie verletzlich die russische Grenze ist – und sie binden russische Truppen, die eigentlich in der Ukraine gebraucht werden. «In vielerlei Hinsicht ist es aber eine grosse PR-Aktion, die die Leute aufrütteln und Aufmerksamkeit erregen soll», sagt Huber.
Die Angriffe auf eigenem Territorium sind eine Blamage für den Kreml. Den Effekt der Aktionen sollte man aber auch nicht überschätzen, schliesst Huber: «Viele Russinnen und Russen, die gegen Putin sind oder im Exil leben, wollen nicht kämpfen oder gar einen Bürgerkrieg in Russland.» Andere wiederum würden den mitunter zweifelhaften Figuren in den Reihen der Kämpfer nicht vertrauen – ebenso wenig wie den oppositionellen Kräften, die hinter ihnen stehen.