Am Sonntag stimmt Frankreich vielerorts in Stichwahlen darüber ab, wie die künftige Nationalversammlung aussehen wird. Wegen der Zeitverschiebung haben in einigen Überseegebieten aber die Urnen bereits geöffnet. Die Ausgangslage und warum zum Beispiel über 200 Kandidatinnen und Kandidaten ihre Kandidaturen zurückgezogen haben, erklärt Frankreich-Korrespondent Daniel Voll
Worum geht es im zweiten Wahlgang?
Die zentrale Fragen sind: Bekommt das Rassemblement National eine absolute Mehrheit? Oder gibt es gar keine regierungsfähige Mehrheit? Für eine absolute Mehrheit braucht es 289 Sitze im Parlament. Nach dem ersten Wahlgang vom 30. Juni sind bereits 79 Sitze definitiv besetzt. In 498 Wahlkreisen wird nochmals gewählt.
Warum ziehen Kandidierende ihre Kandidatur zurück?
In der Woche zwischen den beiden Wahlgängen haben über 200 Kandidatinnen und Kandidaten ihre Kandidatur zurückgezogen. Dies verändert die Situation in den betreffenden Wahlkreisen stark. Nun kommt es in über 400 Wahlkreisen zu einer Stichwahl. Dabei gilt das absolute Mehr. In 91 Wahlkreisen stehen noch 3 oder 4 Kandidatinnen und Kandidaten zu Wahl. Dort genügt das relative Mehr. Dies hilft in der Regel der wählerstärksten Partei, meistens also dem Rassemblement National. Fraglich ist allerdings auch, ob die Wählerinnen und Wähler diesen taktischen Rückzügen folgen werden.
Wer kann die Regierung bilden?
Schafft das Rassemblement eine absolute Mehrheit, dann wird Präsident Emmanuel Macron RN-Parteichef Jordan Bardella zum Premierminister ernennen. Dieser wird eine Regierung bilden und sich im Parlament einer Vertrauensabstimmung stellen müssen. Erreicht RN nur ein relatives Mehr, will Bardella den Regierungsauftrag nur annehmen, wenn er ausreichend Unterstützung von anderen Parteien aus dem rechtskonservativen Lager erhält. Sonst will er ablehnen, weil er sonst das versprochene Programm nicht umsetzen könne.
Was passiert, wenn es keine absolute Mehrheit gibt?
Dann muss Präsident Emmanuel Macron einen neuen Premier suchen. Dies wird nicht einfach sein. Denn eine Koalition zwischen dem Linksbündnis und dem Lager von Präsident Macron ist nicht absehbar. Eine solche «Koalition der nationalen Einheit» dürfte politisch auf wackligen Beinen stehen. Diskutiert wird auch eine allfällige Expertenregierung. Ihr dürfte ebenfalls eine stabile politische Unterstützung fehlen. Frankreich stünde vor einer längeren Phase politischer Instabilität. Denn das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen kann Präsident Macron erst wieder in einem Jahr.