Das ist passiert: In Frankreich haben sich vor dem zweiten Wahlgang der Parlamentswahlen über 200 Kandidierende aus dem Rennen genommen. Bei jenen, die nicht mehr antreten, handelt es sich mehrheitlich um Angehörige der Linken und der Partei von Präsident Emmanuel Macron. Sie wollen so verhindern, dass die Rechtsaussenpartei Rassemblement National (RN) die absolute Mehrheit im Parlament gewinnt.
Rückzug der Kandidierenden: Bereits kurz nach dem ersten Wahlgang hiess es aus Macrons Partei und dem Linksbündnis, man werde überall dort, wo man auf dem dritten Platz gelandet sei, zugunsten der Kandidierenden zurücktreten, die RN schlagen können. Ziel sei, sich nicht gegenseitig Stimmen wegzunehmen und RN damit lokal zum Sieg zu verhelfen. Allerdings hätten sich mehr Kandidierende der linken Parteien zurückgezogen als aus dem Macron-Lager, sagt Frankreich-Korrespondent Daniel Voll. «Es gibt offensichtlich Divergenzen im Macron-Lager.» Die Situation sei sehr unterschiedlich in den rund 500 Wahlkreisen, wo am Sonntag nochmals gewählt wird.
Wahlempfehlungen: «Längst nicht alle Kandidaten, die aus dem Rennen aussteigen, haben Wahlempfehlungen abgegeben», erklärt Voll. Das sei oft auch schwierig, solche Empfehlungen der eigenen Wählerschaft zu verkaufen, nachdem sich die Leute bis vor wenigen Tagen erbittert bekämpft haben. Ungewiss sei auch, ob die eigene Wählerschaft mitzieht oder allenfalls einfach Stimmenthaltung übt.
Widerstand gegen Rechts: Der Kampf gegen RN lässt die Unstimmigkeiten zwischen dem Linksbündnis und Macrons Partei nicht in den Hintergrund treten. Denn dieser ist Voll zufolge der einzige gemeinsame Nenner dieser «Koalition». «In den meisten Fragen haben die beiden Blöcke sehr wenig gemeinsam.» Die grossen Differenzen könnten auch eine der Schwierigkeiten sein, wenn es in der neuen Nationalversammlung keine Mehrheit gebe. Denn im französischen Parlament sei die Kompromisskultur generell sehr schwach entwickelt.
Absolutes Mehr für RN verhindern: Ob die Rückzüge der Kandidierenden ein absolutes Mehr des RN verhindern, sei schwierig zu prognostizieren, so Daniel Voll. Früher habe dieser sogenannte «Front républicain», die Parteien, die sich als republikanisch definieren, gegen RN, damals Front National, funktioniert. Bis vor zwei Jahren habe das meistens geklappt, Präsident Macron habe zweimal profitiert von diesem Effekt. «Bei den Parlamentswahlen 2022 funktionierte das viel schlechter als früher, da haben zum Beispiel die Linken wenig Wahlempfehlungen für die Macronisten abgegeben. Prompt hat dann RN damals 90 Sitze gemacht, so viel wie noch nie.» Diesmal könnte dieser «Front républicain» vielleicht etwas besser funktionieren, weil für die Linke das Risiko, dass RN eine Mehrheit gewinnen kann, grösser sei als vor zwei Jahren, schätzt Voll.