Der heutige Aussenminister, Boris Johnson, war vor vier Jahren noch Londons Bürgermeister, als er sagte:
«I’d vote to stay in the single market. I am in favour of the single market, I want us to be able to trade freely with our european friends.»
Kurz zuvor hatte der damalige Premierminister, David Cameron, ein Austrittsreferendum versprochen. Johnson wollte, wie er damals sagte, im Binnenmarkt bleiben, also in der EU. Dem urbanen, liberalen Bürgermeister musste klar gewesen sein, dass das die Beibehaltung der Freizügigkeit erforderte, aber ihm war das egal.
Nicht so Nigel Farage, damals Chef der fremdenfeindlichen Ukip-Partei:
«Nowhere in the world do people say that to trade you have to have the free movement of people. It is a complete red herring.»
Nirgendwo auf der Welt sei Freihandel an Freizügigkeit geknüpft. Diese Behauptung sei irreführender Quatsch – «ausser in der EU», ist man versucht hinzuzufügen. Es stimmt zwar, dass manche Brexit-Befürworter den Austritt aus dem Binnenmarkt als notwendige Konsequenz des Austritts aus der EU akzeptiert hatten – aber längst nicht alle.
Nach dem Referendum im Juni 2016 verwandelte die Premierministerin, Theresa May, die bekanntlich in der EU hatte bleiben wollen, die Zukunft in eine Denksportaufgabe:
«Brexit means brexit and we are going to make a success of it.»
Brexit bedeute Brexit und sie werde das zur Erfolgsgeschichte machen.
Der exzentrische Boris stülpte sich seine Narrenkappe auf und verbreitete Frohsinn:
«And, my friends, we export french knickers to France, french knickers made in this country...»
«Wir exportieren britische Damenwäsche nach Frankreich», sagte Johnson. Natürlich werde es darauf keine Zölle geben, wo die Briten doch so viel französischen Käse und Champagner importierten.
So verwandelte sich die Zugehörigkeit zum Binnenmarkt in freien Zugang zum Binnenmarkt. Und als auch das angesichts der geplanten Einwanderungskontrollen illusorisch wurde, fielen die Brexit-Befürworter auf merkantilistische Logik zurück:
‹Die Briten haben ein Handelsbilanzdefizit, also haben die Europäer mehr zu verlieren, wenn Handelsschranken errichtet werden.› Die Möglichkeit, dass die EU-27 womöglich noch andere Prioritäten haben könnten, blieb unberücksichtigt.
Erst als Theresa May im Januar ihre Karten auf den Tisch legte, als sie Binnenmarkt und Zollunion begrub, erwähnte sie die Möglichkeit des Scheiterns:
«While I am sure a positive agreement can be reached, I am equally clear that no deal for Britain is better than a bad deal for Britain.»
Sie sei zuversichtlich, dass ein guter Handelsvertrag mit der EU abgeschlossen werden könne, aber gar keine Abmachung sei besser als ein schlechter Vertrag.
Der Labour-Politiker Hilary Benn, Vorsitzender des für Brexit zuständigen Unterhausauschusses, fragte den Brexit-Minister, David Davis, ob dieses Szenario durchkalkuliert worden sei.
«Can you tell the committee whether the government has undertaken an assessment of the implications for the british economy and british businesses of there being no deal?»
Der Minister wand sich, berief sich auf Studien, die vor dem Referendum verfasst worden waren, und musste schliesslich zugeben:
«Not, not one which would be to my satisfaction...»
Nein, nicht in einer zufriedenstellenden Form. Der Ausschuss äusserte seine Besorgnis über derartigen Leichtsinn, aber Boris, der Mann, der Brexit zur Förderung seiner eigenen Karriere befürwortet hatte, verbreitet weiterhin sonnigen Optimismus:
«Well, I think that, actually, as it happens, we would be perfectly ok if we weren’t able to get an agreement, but I am sure that we will.»
Ein vertragsloser Zustand wäre überhaupt kein Problem, aber es werde bestimmt eine Vereinbarung geben, sagte Johnson.
Irgendwann, so ist zu befürchten, wird dieses kindliche Vertrauen in eine rosige Zukunft mit der Brüsseler Realität kollidieren. Ohne Freizügigkeit werden die Briten keinen formlosen Zugang zum Binnenmarkt erhalten – ein vertragsloser Zustand bringt Zölle und Grenzkontrollen.
Die Premierministerin, die im Unterhaus keine Opposition befürchten muss, hat sich ganz ihren eigenen Scharfmachern und Phantasten ausgeliefert.