Am Berliner Hauptbahnhof herrscht Chaos. 10'000 Geflüchtete kommen hier jeden Tag an, erschöpft, ausgelaugt, traumatisiert vom Krieg in der Heimat. Die meisten von ihnen sind Frauen mit ihren Kindern. Die Männer müssen in der Ukraine bleiben – für den Kriegsdienst.
Notlage der Frauen wird ausgenutzt
«Frauen auf der Flucht sind besonders wehrlos», sagt Diana Henniges. Sie leitet das Hilfswerk «Moabit hilft» in Berlin. Sie sammelt tonnenweise Lebensmittel, Hygieneartikel, Kleider. Alles für die Geflüchteten. Dabei hört sie fürchterliche Geschichten von Krieg, Trennung, Traumata. Und sie weiss: Die Notlage der Frauen wird auf der Flucht – und damit auch am Berliner Bahnhof, schamlos ausgenutzt.
Männer bieten den Frauen Unterkünfte an – gegen Geld. Oder gegen Sex. Oder beides. «Wir hören solche Geschichten sehr oft», sagt Diana Henniges. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen halten darum immer die Augen offen – und rufen im Zweifelsfall die Polizei. Diese warnt auf Twitter vor Übergriffen – und rät, nur mit vertrauenswürdigen Männern mitzugehen.
Darum kümmert sich am Bahnhof Berlin die Ukrainerin Inna. Vor einigen Wochen floh die junge Frau aus Odessa nach Berlin. «Wir bieten den Frauen hier Social-Media-Checks an», sagt Inna. Männer, welche alleinreisenden Frauen Angebote machen, werden gegoogelt, Instagram- und Facebook-Accounts gecheckt. «So haben wir zumindest ein bisschen Sicherheit», sagt Inna.
Zudem ist sie in vielen Chat-Gruppen für Geflüchtete aktiv. «Wir warnen die Frauen, während der ganzen Flucht aufmerksam zu sein, sich nicht bedrängen zu lassen», erzählt Inna.
Flüchtlings-Hochkommissariat ist alarmiert
In Zahlen ausdrücken lassen sich die Fälle nicht. Hilfsorganisationen berichten von Menschenhändlern, welche an den EU-Aussengrenzen gezielt Jagd auf Frauen machen, welche erschöpft und mittellos sind. Eine Perfidie sondergleichen.
Alarmiert ist auch das UNHCR, die Flüchtlings-Hochkommissariat der Uno. Anja Klug, die Leiterin des UNHCR-Büros für die Schweiz und Liechtenstein sagt gegenüber dem Deutschlandfunk: «Frauen und Mädchen sind in Situationen massiver Vertreibung einem erhöhten Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Sie sind anfälliger für die Gefahr von Ausbeutung und Missbrauch, einschliesslich Menschenhandel.»
Wichtig ist darum, die Geflüchteten schnell zu registrieren, damit sie nicht verloren gehen. Doch wer soll das überprüfen? Es ist schwierig, alle geflüchteten Frauen nachhaltig zu schützen.
«Auch wir halten selbstverständlich die Augen offen», sagt Jens Schobranski von der Deutschen Bundespolizei. Seine Beamten sind zumindest am Berliner Hauptbahnhof präsent. Verdächtige Männer werden kontrolliert und weggewiesen. «Wir sprechen immer wieder Platzverweise aus – und nehmen die Personalien auf», sagt Schobranski. Dies soll die geflüchteten Frauen schützen. Und «Wir setzten natürlich auch auf die abschreckende Wirkung dieser Massnahmen», sagt Schobranski.
Sexuelle Gewalt auf der Flucht: Über solch traumatische Erlebnisse können Frauen oft erst Jahre später sprechen. Dies zeigt die Erfahrung aus anderen Konflikten, anderen Flüchtlingstragödien. Das Ausmass der Gewalt, welche der Ukraine-Krieg für Geflüchtete annimmt, wird also erst viel später klar sichtbar.