In Berlin läuft es einem dieser Tage eiskalt den Rücken runter. Nicht wegen der winterlichen Temperaturen. Sondern, weil Judenhass und Israel-Feindlichkeit plötzlich aus allen Ritzen quellen. Davidsterne an Haustüren geschmiert. Molotowcocktails, die gegen Synagogen fliegen. Die Holocaust-Gedenkstätte am Brandenburger Tor, die an die Ermordung von Millionen Juden durch die Nationalsozialisten erinnert, durch einen Polizeikordon geschützt.
Pro-Palästina-Aufmärsche sind zwar verboten, Hass und Hetzen brechen sich dennoch Bahn. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte im Bundestag «klare Kante» gegen Antisemitismus an. Man werde Gesetze und Vorschriften durchsetzen, sagte Scholz mit Blick auf Ausschreitungen und Gewaltverherrlichung auf deutschen Strassen.
«Neukölln zu Gaza machen»
Im Berliner Stadtteil Neukölln kommt es seit dem 7. Oktober immer wieder zu Randale im Namen Palästinas, initiiert von pro-palästinensischen Vereinen, die in den sozialen Medien dazu aufrufen, «Neukölln zu Gaza» zu machen. So brennen Barrikaden und Autos, Feuerwehr und Polizei, welche die untersagten Versammlungen auflösen will, werden mit Steinen und Flaschen beworfen.
Dervis Hizarci, Muslim mit türkischen Wurzeln und in Neukölln gross geworden, ist fassungslos: «Seit 20 Jahren kämpfe ich gegen Antisemitismus. Aber jetzt, nach diesem bestialischen Terror der Hamas in Israel, haben wir in Deutschland eine ganz neue Dimension der Israel-Feindlichkeit und des Judenhasses.» Er ist Vorsitzender der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, die versucht, Menschen mit muslimisch-arabischem Hintergrund ein differenzierteres Nahostbild zu vermitteln.
Doch die politische Bildung für die Migrationsgesellschaft müsse flächendeckender und Israel-bezogener sein. «Es reicht nicht, wenn die da oben, wenn die Politik sagt: Israel ist Staatsräson. Wir müssen das auch pädagogisch vermitteln, gesellschaftlich vermitteln», betont Hizarci. Doch ausgerechnet diesen Sommer wurde bei einer Haushaltskürzung die demokratische Bildung zusammengestrichen.
Nahostkonflikt im Klassenzimmer
Im Kampf gegen Antisemitismus und Intoleranz ist Bildung das beste Rezept. Doch gerade an hiesigen Schulen, wo manchmal 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler einen muslimisch-arabischen Hintergrund haben, brodelt es. Das Lehrpersonal steht den Emotionen der Jugendlichen, der Vehemenz, mit der sie die Hamas-Angriffe rechtfertigen, oft hilflos gegenüber. Mehmet Can, Geschichts- und Politiklehrer an der Gesamtschule Rütli in Berlin-Neukölln, beschäftigt sich seit Jahren mit diesem Thema.
Mit dem Wahlpflichtfach «Israel-Palästina» versucht er, bei Jugendlichen noch nicht gefestigte antisemitische Weltbilder durch Wissen zu korrigieren. «Wir thematisieren alle Aspekte, die notwendig sind. Das betrifft palästinensisches und jüdisches Leben in Deutschland, die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte, mit der Geschichte des Konflikts, aber auch die Auseinandersetzung mit beiden Gesellschaften abseits des Konflikts.»
Aus einer der Israel-Reisen, die Mehmet Can am Ende des zweijährigen Kurses mit der Klasse unternimmt, ist ein preisgekrönter Comic entstanden. Darin schildern die Jugendlichen ihre Erfahrungen, wie sie sich auf die komplizierte Geschichte und Gegenwart einlassen, ihre Aha-Erlebnisse.
Der Comic «Mehr als 2 Seiten» wird gerade nachgedruckt. In Schwarz-Weiss, aber ohne schwarz-weisse Klischees.