Weissrussland steht nicht mehr auf der Liste der Corona-Risikoländer. Wer aus der Ex-Sowjetrepublik in die Schweiz einreist, muss sich nicht mehr in Quarantäne begeben.
Der Grund: Der durch den Bund vorgegebene Grenzwert steht bei 60 Neuinfektionen pro 100'000 Einwohner in den vergangenen 14 Tagen – Weissrussland meldet nur 24 Neuinfektionen.
Das erstaunt, denn die Regierung in Minsk hat bislang wegen ihres laschen Umgangs mit dem Coronavirus für Schlagzeilen gesorgt. Für SRF-Korrespondentin Luzia Tschirky lässt sich die Lage im Land kaum unabhängig beurteilen.
SRF News: Hat Sie der Entscheid des Bundes überrascht?
Luzia Tschirky: Aufgrund der nicht vertrauenswürdigen Datenlage aus Weissrussland hat mich der Entscheid überrascht. Am gleichen Tag habe ich vom weissrussischen Aussenministerium gehört, dass man meine Akkreditierung als Journalistin noch nicht ausstellen könne. Die dafür zuständige Kommission könne sich aufgrund der epidemiologischen Lage im Land nicht treffen.
Das Coronavirus hat die Probleme des Landes schonungslos offengelegt.
Die Informationen der weissrussischen Behörden sind widersprüchlich. Der Gesundheitsminister sagte öffentlich, die Lage habe sich stabilisiert. Je nach Bedarf scheint man unterschiedliche Interpretationen zu finden.
Wie verschaffen Sie sich einen Überblick über die Lage?
Das ist sehr schwierig. Die offiziell publizierten Zahlen können nicht unabhängig überprüft werden. Für Oppositionelle ist klar, dass die Zahl der Covid-19-Todesopfer deutlich höher liegen dürfte. Offiziell sind es in Weissrussland 519 verstorbene Personen. Es gibt aber beispielsweise Berichte von Angehörigen von Verstorbenen, auf deren Totenschein Herzversagen als Todesursache aufgeführt worden ist – auch wenn die Person ganz klar an Covid-19 verstorben ist.
Präsident Alexander Lukaschenko spielt das Virus runter. Er sagt Saunagänge, Wodka oder landwirtschaftliche Arbeit sollen gegen das Coronavirus schützen. Glaubt ihm das die Bevölkerung?
Das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber dem Präsidenten ist während der Coronakrise gestiegen. Mein persönlicher Eindruck ist, dass viele Personen, aber auch Unternehmen, von sich aus im Frühling versucht haben, sich an Corona-Regeln zu halten – ohne, dass diese von der Regierung verordnet worden wären. Seit den Demonstrationen der vergangenen Wochen ist das Einhalten dieser Regeln aber aus dem Fokus geraten.
Warum gehen die Menschen auf die Strasse – geht es um mehr als die Corona-Politik der Regierung?
Es geht definitiv um mehr. Das Coronavirus hat die Probleme des Landes schonungslos offengelegt. Die Menschen fühlen sich unter Präsident Lukaschenko wirtschaftlich und politisch in einer Sackgasse. Spätestens seit zwei der aussichtsreichsten Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen vom 9. August unter Vorwänden ausgeschlossen wurden, gehen die Wogen im Land hoch. Erstaunlich ist, dass nicht nur in der Hauptstadt Minsk demonstriert wird, sondern auch in Städten fern des Zentrums.
Trotz der angespannten Situation sind in gut zwei Wochen Wahlen geplant. Sollen die trotz der Corona-Pandemie ganz normal stattfinden?
Die Vorsitzende der weissrussischen Wahlkommission hat angekündigt, dass aufgrund der schwierigen epidemiologischen Lage weniger Wahlbeobachter in den Abstimmungslokalen anwesend sein werden. Auch hier scheinen die Behörden die Lage jeweils so einzuschätzen, wie es gerade passt. Wenn man unter Normalität faire und freie Wahlen versteht, sind die Aussichten schlecht.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.