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Besuch in Deutschland Olaf Scholz, Joe Biden und die verlorene Leichtigkeit

Zehntausende Menschen stehen am Strassenrand und jubeln dem amerikanischen Präsidenten zu. Die Balkone sind geschmückt mit Flaggen der USA, kleine Kinder sitzen auf den Schultern ihrer Väter. Es ist ein Fest. «Wir Amerikaner setzen unsere Städte aufs Spiel, um Ihre Städte zu verteidigen», sagt der Gast aus Washington. An der Seite des Kanzlers, der besonders glücklich und gelöst wirkt, wird die Reise des Präsidenten zum Triumph. Wer auch immer ihm im Weissen Haus folgen wird, dem rät der Präsident: «Wenn Sie einmal niedergeschlagen sind, dann reisen Sie nach Deutschland.»

In der «Tagesschau» oder in dieser News App sind diese Szenen heute nicht zu sehen. Wir blättern in der farbigen Sonderausgabe «Berliner Illustrierten» von 1963. Der US-Präsident ist John F. Kennedy, der Kanzler heisst Konrad Adenauer.

Angespanntes transatlantisches Verhältnis

Sätze wie Kennedy würde Joe Biden heute nicht mehr sagen. Das transatlantische Verhältnis ist angespannt, die USA sind nicht mehr bereit, die ganze Last des Verteidigungsbündnisses zu tragen. Als Präsident hat Donald Trump Europa massiv unter Druck gesetzt, die Verteidigungsausgaben endlich zu erhöhen, auf zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes. Auch Biden und Harris halten den Druck hoch. Und falls Trump in knapp drei Wochen wieder zum Präsidenten gewählt würde, schwände der Druck nicht. Im Gegenteil.

Die Kennedy-Unbeschwertheit liess bereits in den späten 1960er-Jahren nach, die Kritik gegen den Vietnam-Krieg waren bei den Studenten-Protesten 1968 ein zentrales Element. Anfangs der 1980er-Jahre gingen sehr viele Menschen gegen die Stationierung von US-Atom-Raketen in Deutschland auf die Strasse. Ohne die Unterstützung der Friedensbewegung wäre die Gründung und der Einzug der Grünen in den Bundestag 1983 wohl kaum möglich gewesen.

Heute geht es wieder um die Stationierung von US-Raketen in Deutschland, es geht wieder um einen Ost-West-Konflikt. Und wieder wird der Widerstand gegen die USA, gegen die Nato, grösser. Die Wahlen im Osten Deutschlands diesen Herbst haben gezeigt: Über 40 Prozent der Menschen, vor allem Wählerinnen und Wähler der «Alternative für Deutschland» AfD und des «Bündnisses Sahra Wagenknecht» BSW, lehnen die Westbindung Deutschlands weitgehend ab. Wagenknecht zwingt sogar CDU-Politiker zu Nato-kritischen Worten – weil die Ost-CDU nur dank Wagenknecht an der Macht bleiben kann.

Die CDU von Kanzler Adenauer, die CDU der Westbindung und des Transatlantischen, im Würgegriff der langjährigen Kommunistin Sahra Wagenknecht.

Signal an Putin

In dieser Gemengelage kommt Biden nach Deutschland. Man feiert das Transatlantische und sendet ein Signal an Putin: Wenn der amerikanische Präsident, Kanzler Scholz, der französische Präsident Macron und Keir Starmer, der Premier aus Grossbritannien, zusammentreffen, soll das nach Moskau wirken.

Die Anti-Putin-Allianz wird Einigkeit demonstrieren – und weiter daran arbeiten, auch nächstes Jahr genug Geld für die Ukraine zu sammeln. Alleine die G7-Staaten wollen 50 Milliarden Euro nach Kiew senden. Wohl wissend, dass Putin nächstes Jahr rund 127 Milliarden Euro für seinen Krieg budgetiert hat.

Europa brennt, der Krieg frisst sich nach Westen. Und 61 Jahre nach Kennedy würden die USA ihre Städte nicht mehr aufs Spiel setzen für die Deutschen, für Europa. Und den Rat an seine Nachfolgerin, seinen Nachfolger würde Biden wohl eher so formulieren: «Wenn Sie einmal niedergeschlagen sind, reisen sie eher nicht nach Deutschland, nach Europa.»

Stefan Reinhart

Leiter Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten

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Stefan Reinhart ist Leiter der Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten und Chef vom Dienst im Newsroom Zürich. Zuvor war er Deutschland-Korrespondent für SRF.

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SRF 4 News, 17.10.2024; 4:00 Uhr

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