Derart viel wurde schon lange nicht mehr beschlossen auf einem Nato-Gipfel wie diesmal in Madrid: Das westliche Verteidigungsbündnis wird stärker, flexibler und grösser. Es wird zugleich auch grüner und innovativer. Nachdem die Allianz drei Jahrzehnte lang ein bisschen wie ein Überbleibsel des Kalten Krieges wirkte, ist ihr Nutzen nun wieder unumstritten. Die Nato 2.0 ist da.
In der Cafeteria des Nato-Gipfelzentrums am Stadtrand von Madrid war zunächst «russischer Salat» im Angebot. Der Lapsus wurde rasch behoben. Neu hiess die Speise dann «traditioneller Salat». Hingegen blieb Russland das prägende Thema auf dem Gipfel. Am Ende steht eine Nato, die ziemlich anders aussieht als vor dem Spitzentreffen.
Geopolitik: Russland ist, laut dem neuen Nato-Strategiekonzept, eine direkte Bedrohung, China eine ernstzunehmende Herausforderung. Moskau und Peking versuchten den Nato-Gipfel zunächst zu ignorieren, haben dann aber recht gehässig reagiert. Was wohl auch bedeutet: Man nimmt die Nato (wieder) ernst.
Streitkräfte: Die Nato stationiert erstmals fest Truppen in Osteuropa. Statt wie bisher vier Kampfgruppen – im Baltikum und in Polen – gibt es neu acht – je eine auch in Rumänien, Bulgarien, Ungarn und der Slowakei. Und: Statt Bataillons- haben sie künftig Brigadestärke. Binnen Wochen können sie mit insgesamt 300'000 Soldatinnen und Soldaten der Nato-Eingreiftruppe verstärkt werden.
Budget: Mehr Bereitschaft mit mehr Waffen und Munition kostet. Die Nato-Mitglieder müssen ihre Wehretats kräftig erhöhen. Insgesamt fliessen hunderte von Milliarden Dollar zusätzlich in die Wehrbereitschaft.
Erweiterung: Die zuvor bockende Türkei macht den Weg frei für die Aufnahme von Schweden und Finnland. Allerdings gibt es keine Garantie, dass der türkische Präsident dann, wenn sein Parlament die Erweiterung ratifizieren muss, nicht noch einen letzten Erpressungsversuch startet. Allein die Tatsache, dass zwei neutrale nordische Länder in die Nato streben, markiert eine Wende und ist für Wladimir Putin eine Ohrfeige. Er, der die Nato-Osterweiterung hasst, kriegt nun zusätzlich die Nato-Norderweiterung. Als Stratege ist Putin ein Versager; doch als gewiefter Taktiker wird er auch der neuen, stärkeren Nato noch manches Problem bereiten. (Dass sich sogar die Schweiz ein wenig auf die Nato zubewegt, ist eine Fussnote, aber eine interessante.)
Ukraine: Ihr wird geholfen, massiv. Und dennoch wohl nicht schnell und entschlossen genug, damit sie das Blatt im Krieg wenden kann. Dort rückt derzeit Russland militärisch vor, wenngleich mühsam. Und: Eine realistische Beitrittsperspektive bekommt die Ukraine vorläufig von der Nato nicht.
Klimaschutz: Armeen gehören zu den grössten Klimaschädlingen überhaupt. Das Potenzial, es besser zu machen, ist entsprechend riesig. Erstmals setzt sich die Nato nun Klimaziele, will grüner werden. Das klappt nur, wenn die Streitkräfte aller dreissig Nato-Mitgliedsländer mitziehen.
Innovation: Mit einer Billion Dollar dotiert ist der neue Nato-Innovationsfonds. Damit werden junge Unternehmen unterstützt, die auf sicherheitsrelevanten Gebieten – etwa künstliche Intelligenz oder neue Materialien – tätig sind.
Den Krieg gegen die Ukraine kann Putin noch gewinnen. Doch von seinem und Pekings eigentlichem Ziel, die Weltordnung umzukrempeln und das westliche Bündnis aufzubrechen, ist er momentan weiter entfernt denn je.