Als erster Branchengigant erklärt der Ölkonzern BP das Zeitalter der unablässig steigenden Ölnachfrage für beendet. Der Verbrauch werde vielleicht nie wieder auf das Niveau zurückkehren, das er vor dem Ausbruch der Coronakrise erreicht hatte, heisst es im «Energie Ausblick 2020» von BP.
Selbst die optimistischste Schätzung für die nächsten zwei Jahrzehnte sehe die Nachfrageentwicklung «weitgehend stagnierend», da die Welt sich im Zuge der Energiewende immer mehr von fossilen Brennstoffen verabschiede.
Historischer Umbruch
Christof Rühl ist ehemaliger Chefökonom von BP und ausgewiesener Kenner der energiepolitischen Entwicklungen auf dem Globus. Bewahrheiten sich die Prognosen von BP, wäre das für Rühl eine historische Wende: «Damit würde der Ölmarkt erstmals in seiner 150-jährigen Geschichte nicht mehr wachsen, sondern schrumpfen.»
BP belässt es nicht bei Worten, sondern reagiert: Der Ölriese will seine Investitionen in erneuerbare Energien umleiten. Rühl betrachtet die Pläne mit Skepsis. «Ist eine traditionelle Öl- und Gasgesellschaft tatsächlich in der Lage, total umzusatteln? Kann sie eine ihrer Grösse entsprechende Führungsposition im Bereich der erneuerbaren Energien einnehmen?»
Rühl meldet Zweifel an, dass sich BPs Expertise aus dem Ölgeschäft «bruchlos» in dasjenige mit den erneuerbaren Energien übertragen lässt. Was für den Ökonomen für die gesamte Branche zutrifft, die relativ unerfahren in Bezug auf erneuerbare Energien sei.
Öl bleibt grösster Energieträger
Dass sich etwas verändern wird, ist für Rühl aber unstrittig. Und er zieht den Vergleich zu den Tabakmultis, die sich – teilweise durchaus erfolgreich – auf die sinkende Zahl von Rauchern in vielen Ländern eingestellt hätten. Das «Ende des Ölzeitalters» zieht für Rühl aber noch nicht herauf.
Allein schon bei der Herstellung von Plastik und weiteren Kunststoffen spiele Öl auf absehbare Zeit eine grosse Rolle. Und: «Öl ist mit über 30 Prozent immer noch der grösste Energieträger.» Öl werde etwa im Transportsektor noch über Jahrzehnte lebensnotwendig sein, prognostiziert Rühl.
Für Rühl ist aber klar: Die Wettbewerbs- und Rahmenbedingungen verändern sich markant. Auch, weil seit Jahrzehnten ein massiver Effizienzgewinn spürbar ist. «Man braucht immer weniger Öl, um das gleiche Bruttosozialprodukt zu erwirtschaften.» Die Branche befindet sich also nicht nur wegen der Energiewende im Umbruch.
Viele der Mythen und geopolitischen Konsequenzen, die sich immer ums Öl gerankt haben, werden an Bedeutung verlieren.
Der Ökonom rechnet damit, dass der Ölmarkt schon in den nächsten Jahren schrumpfen könnte. Sollte das eintreten, werde sich das gesamte Geschäft mit dem Öl schlagartig verändern. «Dann wird es für Kartelle wie OPEC auch nicht mehr möglich sein, den Preis durch Produktionskürzungen hochzuhalten.»
Kommt der Ölpreis unter Druck, profitieren Produzenten mit niedrigen Kosten wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate. Andere Akteure dürften mehr Schwierigkeiten haben, das «braune Gold» zu Geld zu machen, sagt der Branchen-Kenner: «Viele der Mythen und geopolitischen Konsequenzen, die sich immer ums Öl gerankt haben, werden an Bedeutung verlieren.» Und das sei auch gut so.