Zwei israelische Soldaten bewachen auf der Strasse, die im Westjordanland von Ramallah nach Nablus führt, eine Bushaltestelle. In diesem Flickenteppich von palästinensischen Dörfern und israelischen Siedlungen kommt es häufig zu gegenseitiger Gewalt. An dieser Bushaltestelle dürfen keine Palästinenser einsteigen.
Die 33-jährige Siedlerin Rinat hält ihr Auto an. Viele Siedler machen hier Autostopp. Rinat schaut, ob jemand mitfahren will. Angst hat sie nicht – trotz der jüngsten Häufung von Anschlägen. «Ich bin hier aufgewachsen, man gewöhnt sich daran», sagt Rinat. «Es ist wichtig, dass wir hier gute Sicherheitskräfte haben.»
Ein weiterer 27-jähriger Israeli kommt aus der Siedlung Ofra. Von dort kam auch der Student, der Anfang August mutmasslich von einem Palästinenser erstochen wurde. «Angst haben wir nicht, aber nach solchen Ereignissen sind wir vorsichtiger.»
«Sie behandeln uns schlimmer als Hunde»
Der Palästinenser Salah hat eine Gärtnerei direkt an der Strasse. «Hier gibt es keine Sicherheit», sagt er, denn: Ständig griffen die Siedler die Palästinenser hier an. «Sie behandeln uns schlimmer als Hunde. Eine alte Frau haben sie spitalreif geschlagen», sagt der Gärtner.
Für die Sicherheit der Menschen im Westjordanland sind auf dem Papier israelische und palästinensische Sicherheitskräfte zuständig. In der Praxis harzt die Zusammenarbeit. Brigade-General Ghassan Nimer, Mediensprecher der palästinensischen Sicherheitskräfte, rechtfertigt sich.
«Israel kontrolliert einen grossen Teil des Westjordanlandes, da haben unsere Behörden nichts zu melden», sagt er. Ausserdem fehle den palästinensischen Sicherheitskräften wegen einem Steuerstreit mit Israel das Geld für Benzin, Ausrüstung und Ausbildung.
Israel erhebt Steuern, die sie der palästinensischen Regierung auszahlen müssten. Das tut Israel aber nur zum Teil. Der Grund: Israel zerstört die Häuser von mutmasslichen palästinensischen Terroristen. Die palästinensische Regierung entschädigt diese, was für Israel wiederum Finanzierung von Terrorismus ist.
Dieser Steuerstreit reisst jeden Monat ein Loch von umgerechnet rund 40 Millionen Franken in die palästinensische Regierungskasse. «Wir mussten bei der Bank einen Kredit aufnehmen, um weiter funktionieren zu können.»
Das Ende der Verhandlungen?
Die Annexionspläne des israelischen Premierministers machen Nasser Alkidwa Sorgen. «Das ist gefährlich», sagt der langjährige ehemalige Fatah-Politiker und Vorsitzende der «Yassir Arafat Stiftung» in Ramallah. Damit wolle sich Netanjahu über den internationalen Konsens hinwegsetzen: über das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat, innerhalb der Grenzen von 1967. Das wäre das Ende von Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern. «Weil es dann gar nichts mehr zu verhandeln gibt», sagt Alkidwa.
Einseitige Annexion von Land, die hohe Arbeitslosigkeit, und keine Hoffnung auf einen eigenen Staat – das dürfte nicht ohne Folgen bleiben: «Irgendwann explodieren sie», sagt Alkidwa. In einem vertraulichen Bericht, aus dem lokale Medien unlängst zitiert haben, warnt denn auch der palästinensische Geheimdienst vor einer Zunahme der Gewalt im Westjordanland.