Grossbritannien hat der Ukraine am Samstag die Lieferung von Kampfpanzern angekündigt. Bereits am Mittwoch hat sich Polen bereit erklärt, ein Dutzend Kampfpanzer Leopard 2 zu liefern. Zuvor haben die USA, Frankreich und Deutschland die Lieferung von Schützenpanzern an die ukrainische Armee angekündigt. Im Gespräch erklärt Sicherheitsexperte Rafael Loss die Bedeutung von Kampfpanzern westlicher Bauart für die Ukraine und was den deutschen Leopard 2 so interessant macht.
SRF News: Warum sind westliche Kampfpanzer derzeit so wichtig für die Ukraine?
Raphael Loss: Die Ukraine setzt vor allem sowjetisches Kriegsmaterial aus eigenen Beständen ein. Die Streitkräfte konnten teilweise auch russische Schützenpanzer erbeuten, die dann als Ersatzteillager genutzt werden. Der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat aber bereits im Juni 2022 gesagt, dass die westliche Unterstützung der Ukraine helfe, von sowjetischem Material auf westliche Standards umzusteigen, um auch Ersatzteile und Munition sicherzustellen. Das ist langfristig ein notwendiger Schritt, der jetzt auch mit der Lieferung von schweren Kampfpanzern eintreten soll.
Die westliche Unterstützung der Ukraine hilft, von sowjetischem Material auf westliche Standards umzusteigen.
Im Zentrum steht vor allem der deutsche Kampfpanzer Leopard 2. Was sind seine Vorteile?
Im aktuellen Gefecht ist der Leopard 2 ein Quantensprung für die Ukraine und vor allem ist es die Nachhaltigkeit der Lieferung von Ersatzteilen und Munition. Die von der Ukraine genutzten, sowjetischen Panzer haben ein anderes Geschosskaliber, das, wie auch Ersatzteile, ausserhalb Russlands nur sehr begrenzt produziert wird. Wenn aber in die mobile Verteidigung und in Offensiven eingetreten wird, dann wird westliches Kriegsmaterial wie der Leopard 2 eine Notwendigkeit für die ukrainischen Streitkräfte sein.
Deutschland will keinen Alleingang bei der Panzerlieferung. Wie wahrscheinlich ist es, dass der Widerstand absehbar aufgegeben wird?
Die Wahrscheinlichkeit steigt mit jeder Ankündigung, dass westlich produzierte Kampfpanzer an die Ukraine abgegeben werden sollen. Diese Diskussionen laufen auch in Finnland, Dänemark und anderen Ländern, in denen der Leopard 2 zur Grundausstattung der Landstreitkräfte gehört. Grossbritannien hat jetzt ebenfalls die Absicht, Panzer zu liefern. Hier geht es vor allem um das politische Signal, dass man dazu bereit ist. Damit wird Druck auf das Bundeskanzleramt ausgeübt, damit zumindest die Lieferung von Leopard-2-Panzern anderer europäischer Partner an die Ukraine gestattet wird.
Hier geht es um das politische Signal, dass man bereit ist, westliche Kampfpanzer zu liefern.
Bislang galt die Lieferung von westlichen Panzern als rote Linie. Warum findet gerade jetzt ein Umdenken statt?
Es war die Entscheidung der USA, Deutschlands und Frankreichs, westliche Kampffahrzeuge an die Ukraine zu liefern. Dies hat den Diskurs in Europa enorm weitergebracht. Die Debatte insgesamt hält aber schon seit März 2022 an, als Experten eine nachhaltige Unterstützung der Ukraine betont haben, wobei auch die Lieferung westlicher Waffensysteme ein essenzieller Bestandteil sein müsste. Das würde zudem die Befähigung der ukrainischen Streitkräfte zum Gefecht mit verbundenen Waffen beinhalten, was wiederum die Lieferung von westlichen Panzern bedeutet.
Die Befähigung der ukrainischen Streitkräfte zum Gefecht mit verbundenen Waffen beinhalten die Lieferung von westlichen Panzern.
Welche Reaktion Russlands ist zu erwarten, wenn der Westen Panzer an die Ukraine liefert?
Bislang wurde nie schlüssig erklärt, warum ein Kampfpanzer wie der Leopard 2 ein anderes Eskalationspotenzial haben könnte als etwa westliche Raketenwerfer-Systeme. Russland eskaliert weiter mit Raketen- und Drohnenangriffen. Ich halte es für extrem unwahrscheinlich, dass mit der Panzerlieferung eine rote Linie überschritten wird und damit Putin zum Entschluss kommt, jetzt doch die Nato anzugreifen, weil mehrere Dutzend Leopard-Panzer in die Ukraine geschickt werden.