Das offizielle Abstimmungskomitee für den britischen EU-Austritt heisst «Vote Leave». In Bezug auf die Kampagne dieses Komitees stehen mögliche Manipulationsversuche im Raum. Der für Medienpolitik zuständige Ausschuss des britischen Unterhauses hat einen Bericht dazu veröffentlicht. SRF-Korrespondent Martin Alioth über die Vorwürfe, die darin erhoben werden.
SRF News: Die Kommission unter dem Vorsitz des konservativen Abgeordneten Damian Collins hat untersucht, wie soziale Netzwerke die politische Meinungsbildung beeinflussen. Was ist neu an dem Bericht?
Martin Alioth: Es sind nicht so sehr die Einzelheiten in dem Bericht, die neu sind, als vielmehr die geballte Ladung an Vorwürfen der Desinformation. Der Ausschuss erhebt unter anderem den Vorwurf der gezielt gestreuten Irreführung, der extremen Parteilichkeit und der Verbreitung von Hass – namentlich via Facebook, das in dem Bereich als unkooperativ kritisiert wird. Auch aufgegriffen wird die Verbindung zwischen Facebook und der inzwischen geschlossenen Firma Cambridge Analytica, die diese Daten manipulierte.
Was sagt der 70-Seiten-Bericht über die «Vote Leave»-Kampagne?
Hier geht es – zusätzlich zur gezielten digitalen Manipulation – um die Finanzierung. «Vote Leave» wurde bereits offiziell von der Wahlaufsicht gebüsst, weil sie die Ausgabenlimite für die Brexit-Kampagne mit Hilfe einer Scheinorganisation überschritten hatte. Nun steht auch die andere Brexit-Kampagne «leave.eu» im Zentrum der Kritik, namentlich ihr Geldgeber, der Unternehmer Arron Banks. Er hatte einst die fremdenfeindliche Ukip-Partei finanziert und um die acht Millionen Pfund in diese Kampagne gepumpt.
‹Vote Leave› hatte die Ausgabenlimite für die Brexit-Kampagne mit Hilfe einer Scheinorganisation überschritten.
Die Frage, die sich nun stellt, ist: Woher kam dieses Geld genau? Und besonders wichtig: Kam es wirklich, wie es Vorschrift ist im Vereinigten Königreich, aus Grossbritannien selbst, oder waren es ausländische Quellen? Waren diese unter Banks' Kontrolle, oder war er nicht massgeblich beteiligt?
Im Zwischenbericht des Parlamentsauschusses werden verschiedene Reformvorschläge gemacht. Facebook und Twitter sollen für die eigenen Inhalte verantwortlich gemacht werden. Wie realistisch ist das?
Ich habe da meine Zweifel. Bis jetzt gilt, dass die Social-Media-Unternehmen nur aufgrund von Hinweisen oder Klagen aus dem Publikum über anstössige Inhalte aktiv werden müssen. Sie selbst haben keine Verantwortung, proaktiv einzugreifen. Neu sollen sie aber, so schlägt es dieser Ausschuss vor, die konkrete Verantwortung für die publizierten Inhalte übernehmen müssen.
Ich befürchte, dass diese digitalen Reformen auf die lange Bank geschoben werden.
Die Herkunft und Hintermänner dieser Inhalte sollen transparenter dargestellt werden. Die Regierung plant ein Weissbuch, also die Vorstufe eines Gesetzesvorschlags. Aber da der Brexit alles andere aus der normalen politischen und gesetzgeberischen Tätigkeit der britischen Regierung verdrängt, befürchte ich, dass auch diese digitalen Reformen auf die lange Bank geschoben werden, selbst wenn der Wille der Regierung dazu besteht.
Das Gespräch führte Joël Hafner.