Der britische Premier Boris Johnson ist trotz überstandenem Misstrauensvotum angezählt. Der knappe Sieg werde kaum Ruhe in die Reihen der Konservativen bringen, schätzt Gerhard Dannemann, Direktor des Grossbritannnien-Zentrums der Humboldt-Universität in Berlin. Johnson sei nur noch bedingt handlungsfähig.
Warum ist auch ein gewonnenes Misstrauensvotum in Grossbritannien oft der Anfang vom Ende?
Gerhard Dannemann: Es wird halt sichtbar, wie viele Leute in der eigenen Fraktion gegen einen sind. In diesem Fall sind es 41 Prozent. Boris Johnson hat damit ein riesiges Problem. Unter Abzug jener Abgeordneten mit Ämtern in der Regierung kann abgeschätzt werden, dass drei Viertel der Hinterbänkler Johnson weghaben wollen. Er wird es also richtig schwierig haben, Gesetze durchs Parlament zu bringen.
Beginnt nun innerhalb der Konservativen Partei ein Hauen und Stechen?
Ja. Es ist ja nicht so, dass alle 148 in der Fraktion, die gegen Johnson stimmten, einer Meinung wären. Darunter sind die ganz harten «Brexiteers», die Wirtschaftsliberalen, die Torys mit eher sozialem Gewissen, die politisch Liberalen und die Steuersparer. Sehr viele von ihnen werden jede Schwäche Johnsons ausnutzen. Damit wird es für ihn sehr schwierig, zu regieren.
Welche Folgen hat das für das Land?
Es steht viel an: Auch Grossbritannien ist durch die Ukraine-Krise in eine schwierige Situation geraten: Steigende Spritpreise, eine noch viel stärkere Inflation von aktuell zehn Prozent, die Brexit-Probleme sind nicht überwunden. Und auch Covid hat in der britischen Wirtschaft ziemliche Wunden geschlagen. Es muss jetzt ungeheuerlich viel passieren. Es ist auch sonst viel liegengeblieben, mit all den Rangeleien um Boris Johnson und die Partys. Nötig wäre jetzt eine sehr handlungsfähige Regierung. Ich aber sehe nicht, wie Johnson in einem dieser Problemfälle Initiative ergreifen kann im Wissen, die Mehrheit hinter sich zu haben.
Johnson ist also nur noch bedingt handlungsfähig. Stünde ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin bereit?
Nicht so richtig in der Startschuhen: Aussenministerin Liz Truss und Schatzkanzler Rishi Sunak versuchten zwar, sich aufzubauen, doch sie haben sich beide eher demontiert. Es gibt ein halbes Dutzend weiterer Kandidaten, doch keiner hat das Format, die gespaltene Partei wieder zu versöhnen. Eine integrativer wirkende Persönlichkeit wäre nötig, die nicht gerade für eine extreme Tory-Position steht. Aber die Tory-Partei ist gross mit einer Reihe von politischen Talenten. Da wird sich schon jemand finden.
Hat das «Stehaufmännchen» Johnson noch eine Chance
Es kann sein, dass der «Teflon-Mensch» Boris Johnson schafft, was seinen Vorgängerinnen und Vorgängern nicht vergönnt war. In den nächsten zwei bis drei Wochen ist er noch einigermassen sicher. Das Einzige, was ihn im Moment zum Rücktritt bewegen könnte, wären seine wichtigsten Kabinettsmitglieder. Doch sie haben allesamt nicht die dafür nötige Persönlichkeit.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.