In der nordsyrischen Stadt Idlib gab es den bisher wohl schwersten Bruch der geltenden Waffenruhe. Bei russischen Luftangriffen wurden am Montag Dutzende mit der Türkei verbündete Rebellen getötet, wie Aktivisten vor Ort bestätigen. Wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan auf diese Luftangriffe reagiert, weiss der in Istanbul lebende Journalist Thomas Seibert.
SRF News: Wie fällt Präsident Erdogans Reaktion auf diese Angriffe aus?
Thomas Seibert: Das ist sehr interessant, denn Erdogan reagiert gar nicht. Normalerweise ist der türkische Präsident ja um kein Wort verlegen. Gerade in den letzten Tagen war er damit beschäftigt, eine anti-europäische Kampagne in der Türkei anzufeuern. Aber zum russischen Angriff in Idlib sagt er nichts. Die regierungsnahe Presse in der Türkei nennt diesen Angriff eine russische Provokation.
Waren die Luftangriffe also eine Provokation der Türkei durch Russland und auch der Versuch Putins, Erdogan in seine Schranken zu weisen?
So wird das allgemein gesehen. Dieser Angriff erfolgte nur einen Tag, nachdem Erdogan ein Mitspracherecht der Türkei im Konflikt um Berg-Karabach verlangt hatte. Erdogan hatte gesagt, die Türkei habe genauso viel Recht, in Karabach mitzureden, wie Russland. Russland lehnt eine türkische Rolle im Kaukasus aber ab.
Es gibt Berichte, wonach die Türkei Kämpfer aus Syrien nach Berg-Karabach schleust, um dort gegen Armenien zu kämpfen.
Und es gibt noch einen zweiten Grund, warum die Russen zugeschlagen haben könnten: Das sind Berichte, wonach die Türkei Kämpfer aus Syrien nach Berg-Karabach schleust, um dort gegen Armenien zu kämpfen. Es gibt nicht bestätigte Gerüchte, dass in diesem Trainingslager, das am Montag angegriffen wurde, syrische Kämpfer für den Einsatz im Kaukasus ausgebildet wurden.
Welche Auswirkungen hat diese Provokation längerfristig auf das Verhältnis zwischen Russland und der Türkei?
Das wird auf jeden Fall für Probleme sorgen zwischen diesen beiden Ländern. Putin und Erdogan arbeiten in Syrien seit Jahren eng zusammen. Sie haben dort ihre Differenzen zum beiderseitigen Nutzen zurückgestellt. Diese Zusammenarbeit kommt oder kam bereits vor der Kaukasus-Krise an ihre Grenzen, weil sich in Idlib jetzt beide Seiten gegenüberstehen.
Das Bündnis zwischen Erdogan und Putin ist also ohnehin unter Druck. Und jetzt? Diese Krise im Kaukasus, verbunden mit dem Luftangriff in Syrien, stellt dieses Bündnis auf eine schwere Probe. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass die türkische Regierung offiziell bisher noch überhaupt nicht reagiert hat. Man überlegt sich in Ankara wohl noch eine Linie, wie mit Russland in Zukunft umgegangen werden soll.
Das Gespräch führte Hans Ineichen