Früher, wenn sie auf Reisen war, brachte sie Geschenke nach Hause. Heute versuche sie im Ausland Medikamente aufzutreiben, die vielleicht einen Nachbarn, eine Bekannte, einen Verwandten retten können.
Antelak Al Mutawakel schildert eindringlich, wie dreieinhalb Jahre Krieg das Leben für Millionen Menschen in Jemen zum Überlebenskampf reduziert haben. «Jeder Tag bringt neue Katastrophen.»
Ein Volk von Bettlerinnen
«Viele betteln, die meisten von ihnen sind Frauen und Kinder», sagt Mutawakel. Sie bettelten zu Hunderten in den Strassen der jemenitischen Hauptstadt, wühlten in den Abfällen nach etwas Essbarem. Achtzig Prozent der jemenitischen Bevölkerung sind angewiesen auf humanitäre Hilfe in der einen oder anderen Form, schätzt die UNO.
Mutawakel hat in London Englisch studiert, sie unterrichtet an der Universität in Sanaa Sozialwissenschaften, Genderstudies, der Lehrbetrieb geht irgendwie weiter – ohne Lohn.
Der Konflikt geht weiter
Die eine Seite in diesem Konflikt, die Huthis – Gefolgsleute Gottes, wie sie sich selber nennen – überweisen der anderen, der sogenannten Regierungsseite in Aden keine Steuereinnahmen mehr. Die Regierungsseite hält im Gegenzug die Beamtenlöhne zurück, von denen jenseits der Frontlinie direkt oder indirekt wohl gegen neun Millionen Menschen abhängen.
Die internationalen Hilfsorganisationen sind vor Ort. Ohne sie wäre Jemen längst völlig zusammengebrochen. «Die humanitäre Hilfe ist hat guten und schlechte Auswirkungen gleichzeitig», so Mutawakel.
Was aufgebaut wurde, ist zerstört
Die Hilfe mache die Bevölkerung zu Almosenempfängern. Antelak Al Mutawakel schmerzt das. Als Menschenrechtlerin habe sie über Jahrzehnte versucht, Aufbauarbeit zu leisten: Hilfe zur Selbsthilfe, eine jemenitische Zivilgesellschaft heranwachsen zu lassen, die Rolle der Frauen darin zu stärken.
Die meisten haben nichts. Gar nichts.
Der Krieg zerschlägt die Früchte auch dieser Arbeit. Gleichzeitig zersetzt er die Gesellschaft. Auf beiden Seiten bestärkten sich fundamentalistische Kräfte gegenseitig. Obwohl religiöser Extremismus eigentlich quer zur jemenitischen Tradition stehe.
Antelak Al Mutawakel unterstellt Absicht: «Die Radikalisierung ist ein Instrument der Kriegsführung», sagt sie. «Das Problem in Jemen ist nicht Schiiten gegen Sunniten. Doch sie versuchen uns auseinanderzutreiben in einem absurden Kampf um Macht und Pfründen.»
«Eine Schande für die Menschheit»
Der Krieg habe auch Profiteure hervorgebracht, vor allem dank der Korruption. Währenddessen hat die grosse Mehrheit gar nichts, so die Universitätsdozentin aus Sanaa: «Die meisten haben nichts. Gar nichts.»
Die Uno nennt den Jemen-Krieg die schlimmste humanitäre Krise der Gegenwart. Praktisch die Hälfte der Bevölkerung sei inzwischen unmittelbar von Hunger bedroht: «Menschen sterben. Das ist eine Schande für die Menschheit.»
Sie hoffe, dass die Staatengemeinschaft erwache und in allen Ländern der Druck wachse auf die Regierungen, damit Jemen wieder zur Ruhe komme. Der Jemenkrieg sei keine Naturkatastrophe, sondern von Menschen gemacht. Er könne beendet werden. Und es sei dringend, angesichts des Sterbens und der Not, dass das geschehe.
SRF 1, Rendez-vous, 12:30 Uhr; kocm;