Der Konflikt in Libyen spitzt sich zu. Acht Jahre nach dem Sturz des Langzeitmachthabers Muammar al-Gaddafi herrscht Chaos. Mittendrin: Die Türkei. Am Sonntag waren sechs türkische Matrosen in Libyen festgehalten worden, am Montag kamen sie wieder frei. Journalist Thomas Seibert über die Interessen der Türkei im nordafrikanischen Land.
SRF News: Welche Interessen hat die Türkei in Libyen?
Thomas Seibert: Libyen war früher Teil des Osmanischen Reiches. Der Türkei geht es aktuell auch darum, sich in einem Konflikt zu engagieren, der zu einem Stellvertreterkrieg zwischen rivalisierenden Mächten im Nahen Osten geworden ist.
In Libyen läuft ein Kampf um die Macht zwischen Ministerpräsident Fayiz as-Sarradsch und dem General Chalifa Haftar. Die Türkei unterstützt Sarradsch. Weshalb?
Sie will in Libyen zusammen mit Katar ein Gegengewicht zu ihren regionalen Rivalen im Nahen Osten bilden. Der Rebellenkommandeur Haftar wird von Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten untersützt. Diese Frontstellung findet man auch in anderen Regionen des Nahen Ostens. Und das spiegelt sich nun auch in Libyen wieder.
Haftar hat seinen Kämpfern befohlen, alle türkischen Schiffe und Flugzeuge anzugreifen, die sich Libyen nähern. Was bedeutet das?
Das Nato-Mitglied Türkei könnte möglicherweise direkt in den Konflikt verwickelt werden. Im Moment liefert die Türkei Waffen, gepanzerte Fahrzeuge und Drohnen an Milizen, die für die libysche Regierung kämpfen. In Libyen leben aber auch viele türkische Staatsbürger. Die türkische Bau- und Schifffahrtsindustrie ist dort sehr stark.
Der Konflikt könnte leicht wieder eskalieren.
Die Türkei hat viele Interessen in Libyen. Haftar hat zuletzt auch den Befehl gegeben, alle türkischen Restaurants in seinem Machtbereich zu schliessen. Der Konflikt könnte also leicht wieder eskalieren. Die türkische Regierung hat klar gemacht, dass sie militärisch reagieren wird auf Haftar – und zwar sehr heftig.
Das klingt nach einer sehr sensiblen Situation. Gibt es Aussicht auf Entspannung?
Im Moment leider nicht. Alle Vermittlungsbemühungen der Vereinten Nationen sind gescheitert und es gibt keine Aussicht auf neue Friedensgespräche. Allerdings ist die militärische Lage so, dass Haftar mit seinem Angriff auf die Hauptstadt Tripolis erstmal gescheitert ist. Möglicherweise ergibt sich aus diesem Scheitern eine Chance auf neue Gespräche. Aber im Moment sieht es relativ düster aus. Man muss davon ausgehen, dass der Konflikt eher schlimmer wird.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.